Thomas Braucks schrieb am 14. Oktober 02 in der Recklinghäuser Zeitung

Fahren sie bitte in der Böschung



KONZERT: Herman van Veen, der Vielbegabte, und seine exzellente Band in RE

Einem guten Kalauer ist der Mann noch nie aus dem Weg gegangen. "Fahren sie bitte in der Böschung", rät Herman van Veen seinem Publikum, bevor er im Recklinghäuser Festspielhaus die "Rausschmeißer" singt, "auf den Straßen passieren so viele Unfälle."

Doch der Grundton des Programms "Was Ich dir singen wollte", mit dem der Holländer seit einem Jahr durchs Land tourt, ist eher melancholisch gestimmt. Herman Van Veen erzählt von seiner Kindheit, singt von Liebe, Streit und Tod und widmet sich der verstorbenen Eltern.
Unter dem liturgischen Ruf ,,Kyrie Eleison" beschwört er Verlierer und Sieger, Opfer und Raffkes dieses Leben herauf oder singt den Kriegskindern resignierend ein Lied. Das alles mit berührenden Texten in eingängig gebauter, von Moll?Tönen dominierter Musik. Nur zwei, drei der alten Hits (darunter auch "Warum bin ich so fröhlich") fanden Platz Im Programm. Aber van Veen ist ein viel zu gewitzter Entertainer, um ins Sentimentale und gar Peinliche abzurutschen. Im voll besetzten Festspielhaus zieht er alle Schubladen auf. Herman, der Vielbegabte.
Van Veen ist der gewiefte Musiker, der von Chanson über Jazz und Tango bis zu schräpiger Jahrmarktmusik alles kann. Gibt den tiefsinnig?lakonischen Philosophen, das Stimmwunder und den Tänzer.

Virtuoses Ensemble

Oder schlüpft in die Rollen des Hampelmanns, des Clowns und des übermütigen Spaßmachers, der auch vor schrillem Klamauk nicht zurückschreckt. Das alles stets selbstironisch grundiert.
Die Bühne gehört aber nicht van Veen allein ? ausgezeichnete Musikerinnen und Musiker begleiten ihn. Alle gut genug, den Abend notfalls auch allein zu bestreiten.
Selbstredend ist Pianist Erik van der Wurff dabei, musikalischer Weggefährte seit den gemeinsamen Lehrjahren am Utrechter Konservatorium, Tubaspieler Hans Koppes, die exzellente Gitarristin Edith Leerkes und die versierte Geigerin und Jazz?Sängerin Jann.
Schließlich auch Multitalent Wieke Garcia, die für Harfe, Drehleier, Dudelsack und allerlei Percussion?Instrumenten zuständig ist. Verblüffend ihr fulminantes Trommel?Solo auf einem Tisch. Das virtuose Ensemble trägt van Veen durch den Abend und viel zur Dramaturgie bei.
Mancher Nummer könnte man vorhalten, sie sei nicht sonderlich originell: Van Veens das Fechtduell mit Geigerin Jann, die Persiflage auf sterbende Opernsängerinnen und mordende Tenöre ("Die Oper wäre schön, gäbe es die Sänger nicht"), das mit Wasser bespritzte Publikum oder der Schlauch, der sich als Konfetti?Kanone entpuppt.
Dennoch: Alles ist dramaturgisch perfekt gearbeitet und unterhaltsam. Der Saal bebt, Beifall und Zugabe?Rufe wollen kein Ende nehmen.