F. SCHLÖSSER schreef 14 oktober 2001 in de Ostzee Zeitung

Freies Lachen diesseits des guten Geschmacks
Herman van Veen gastierte in der Rostocker Stadthalle



Rostock (OZ)
Alle wissen, dass Herman van Veen in jeder Stadt diese Nummer abzieht: "Meine Frau will sich scheiden lassen, weil ich immer wieder nach Rostock fahre. Sie wird mir fehlen." Das Lob an die Stadt ist mit größtmöglicher Berechnung plaziert. Der Künstler muss nicht um diesen Lacher und den anschließenden Beifall heischen, er weiß, dieser Punkt ist ihm sicher. Seit 1968 steht van Veen auf der Bühne und arbeitet an dieser magischen Vertrautheit zwischen sich und Europa. Sie ist die Basis seiner Auftritte und trägt ihn sicher über die zwei Stunden hinweg und über etliche Zugaben. So auch Samstag in der Rostocker Stadthalle.

Er greift sich ans Gemächt: Das Publikum johlt. Er wackelt mit dem Hintern: Das Publikum klatscht. Er geht seiner schönen Geigerin an die Wäsche: Das Publikum lacht, johlt, klatscht. Wenn es will, dann sieht es, dass alles nur eine Inszenierung ist. Aber es will nicht. Bis Herman van Veen das selbst klarstellt. Mit einer Erinnerung an seine verstorbenen Eltern oder einem "Kyrie eleison", dass sich der Herr erbarm' allen hier unten. Um dann einen Witz zu erzählen: Wie bringt sich ein Tenor um? Er stürzt sich von seinem Ego. Hinunter auf seinen IQ. Das ist das Spiel, auf das er setzt. Van Veen überschreitet mit traumwandlerischer Sicherheit die engen Grenzen des sogenannten guten Geschmacks um die paar Meter, die für ein freies Lachen nötig sind. Dazwischen  ganz leise: 11. September 2001. Es würde viel weniger Böses auf Erden geben, wenn das Böse nicht noch im Namen des Guten getan würde. Minuten vorher hatte er sich noch die Unterhose über den Kopf gestülpt .

Die Show ist natürlich perfekt. Das ist selbstverständlich. Viel wichtiger ist, dass sich die Show nicht in den Vordergrund drängt. Sie ist Mittel, nicht Zweck. Sie hält sich intelligent zurück und macht wundervollen Musikern Platz. Sie lässt den Mann am Kontrabass, Thomas Dirks, nach vorn treten, denn dort gehört er hin. Sie holt Erik van der Wurff, selbst gestandener Komponist und van Veens Begleiter seit Jahrzehnten, für eine Albernheit hinterm Flügel hervor. Die Percussion-Abenteuer von Wieke Garcia haben auf dieser Bühne ebenso ihren Platz wie ein paar zauberhafte Violinen-Duelle, die der 56-jährige Herman van Veen gegen die junge Geigerin Jannemien Cnossen verlieren darf. Die Gitarrenkünste von Edith Leerkes allein wäre schon ein Solo-Programm wert, schließlich hat sie mit dem "Amsterdamer Guitar Trio" schon eine internationale Karriere hinter sich. Sie haben alle Raum neben Herman van Veen.
Nicht hinter ihm.




F. SCHLÖSSER