Sabine Brandt schrieb am 14.03.01 in der Thüringischer Landeszeitung

Holländer, 56, nicht erwachsen



Herman van Veen kommt nach Weimar - ein Gespräch mit einem, der die Welt'en detail verändert

Weimar.
(tlz) Herman van Veen macht seit mehr als 30 Jahren Lieder. Das ist nicht alles, was er tut, aber das Singen selbstgemachter Lieder ist es, weswegen er immer noch große Festhallen mit Publikum füllt. Auch die Weimar-Halle, in der van Veen am Freitag, 16. März, singen wird, ist schon ausverkauft. Die TLZ traf ihn zwischen zwei Leipzig-Konzerten.

Auf Ihrem Tourneeplan stehen in diesem Jahr fast hundert Konzerte. Haben Sie eigentlich noch Zeit für ein Privatleben, Herr van Veen?

Es bleiben ja noch über 250 Tage vom Jahr übrig ... Das ist mein Leben. Ich kann es mir ohne Singen nicht mehr vorstellen. Wir haben die Gelegenheit, in dieser Zeit zu leben, vergleichen zu können und die Unterschiede zu sehen zwischen Städten, Länder und dem Denken.

Welche Unterschiede sehen Sie denn?

Na, zum Beispiel, wenn ich hier in den neuen Bundesländern ein "Kyrie eleison'' singe, hat das eine absolut andere Bedeutung als in München. Dort ist die katholische Kirche Tatsache, hier ist sie nur das Wissen um ihre Existenz, hat viel weniger emotionale Bedeutung. Oder anders herum: Gestern habe ich ein Lied gesungen von einem Mann, der nicht mehr weiß, ob er sich nach der Vergangenheit oder der Zukunft sehnen soll, er Weiß es einfach nicht. Das hat hier eine andere Bedeutung als in Köln. Dort denkt man bei Vergangenheit an den Krieg, her denkt man an die Zeit, als die Mauer noch war.

Spüren Sie etwas von diesen?

Ja. Durch Stille. Oder Lachen. Den Deutschen ist Sprache enorm wichtig; man will in Deutschland mehr als woanders auf der Welt Lieder hören. Das spürt man: Die Leute wollen Lieder mit Texten hören. In Frankreich wollen die Leute lachen, sie laden mich ein, daß ich sie ins Lachen stürze.

Müssen Sie In Frankreich mehr Clown sein als hier?

Das muss ich nicht, ich bin es einfach für dieses Publikum, unter dem es eine nie getroffene dramaturgische Verabredung gibt. Man geht hin, um zu lachen. Für mich ist das so, wie für einen Nüchternen, der mit einem Betrunkenen redet. In Belgien wollen die Leute zuhören und nicht reagieren, in Österreich übrigens auch. Die setzen sich also hin und wollen was erfahren. Da kommen die Reaktionen erst nach der Vorstellung. Gigantisch! Und in Amerika wollen sie Entertainment, ich muss eigentlich ein Kino sein, es gibt da keine Interaktion. In Tokio reagieren sie überhaupt nicht, klatschen nur hinterher. Alles ist introvertiert. Wenn sich jemand in Tokio viel bewegt, dann sieht man ihn an, als sei er nicht zivilisiert. Man fühlt sich wie ein Vogel im Zoo.

Vielleicht erwarten es die Japaner von Ihnen eben so...

Ja, ja, die wollen was Exotisches sehen. Allein meine Nase - wenn man die vergleicht mit einer japanischen Nase, dann ist meine richtig progressiv. Ich hatte einmal Gelegenheit, vor Indianern in Südamerika aufzutreten. Die klatschten zum Beispiel überhaupt nicht. Die schüttelten nur die Hände in der Luft, ohne daß sie sich berührten, weil sie denken, daß man die Geister in der Luft tötet, wenn man klatscht.

Vor 20 Jahren haben Sie die Geschichte von Gott erzählt. Heute singen Sie einerseits vom Alten Engel und zum anderen vom Teufelskerl. Wo In diesem Koordinatensystem sitzen Sie gerade?

Ich habe gerade meine Eltern verloren. Sie sind beide 83 Jahre alt geworden. Das ist sehr tragisch und auch nicht tragisch. Ich habe an sie nur die besten Erinnerungen. Was ich bin, verdanke ich ihnen. Ich bin stolz auf meinen Kummer, denn: je mehr Kummer, desto klarer ist, wie sehr ich diese beiden Menschen geliebt habe. Dass die Geschichten vom Engel und vom Teufelskerl so gegenwärtig sind, hat damit zu tun, dass ich - und ich bin nicht gläubig - völlig verwirt bin: Ich habe das Gefühl, daß die beiden nicht tot sind. Ich erfahre meine Eltern als völlig anwesend, noch anwesender als zu der Zeit, als sie noch lebten.

Die beiden waren bei fast allen Ihren Auftritten dabei...

Ja. Wir hatten eine sehr, sehr enge Beziehung, Wenn ich jetzt was verkehrt mache, dann bin ich sicher, dass sie es wissen. Früher musste ich es nur nicht erzählen, damit sie es nicht erfuhren. Körperlich sind sie nicht mehr da, aber sie haben noch enormen Einfluss. Wenn es Engel gibt, dann sind es meine Eltern. Was ich erfahren habe, ist, wenn meine Zeit kommt, werde ich nicht allein sein. Und dafür brauche ich keine Kirche zu bauen oder Mohammed zu umarmen.

Melancholie" Zorn, Zärtlichkeit, Glück -welches Gefühl Ist Im Moment am stärksten?

Ich bin immer noch auf meine Eltern konzentriert, ich fühle: Schade, dass ihr das alles nicht hören und sehen könnt. Ich bin in einer, sehr guten Phase: traurig-fröhlich.

Sie sind groß geworden, ohne das Gefühl gehabt zu haben, kein Kind mehr zu sein. Wie ist es heute um dieses Gefühl bestellt?

Daran hat sich nichts geändert. Nur die Erfahrungen stapeln sich. Ich habe das Gefühl, nie älter geworden zu sein. Nur wenn ich in den Spiegel gucke, seh ich, dass es nicht so ist. Wenn ich aus dem Inneren meines Kopfes nach draußen gucke, sehe ich noch den Jungen, der die Erfahrungen eines erwachsenen Mannes aufgesammelt hat. Ich weiß jetzt, dass ich nie ein Indianer sein werde oder eon Eskimo ind ich bin jetzt auch sicher, dass ich nie auf den Mond komme. Aber es ist nicht illegal, das zu denken.

Ist es besser, nicht erwachsen zu werden?

ja, weil ich die erwachsene Welt als extrem korrupt erfahre. Diese Welt muss bezahlt werden von den Menschen, die sich selbst nichts leisten können. Wenn man so viel reist wie wir, kriegt man einen klaren Blick dafür. Man hat Menschenrechte formuliert, aber die meisten Menschen auf dieser Welt können sich darauf nicht berufen. Es gibt Gott in uns nicht, und das macht es möglich, dass wir tun, was wir tun.

Sie haben die Stiftung Colombine gegründet. Was Ist das?

Colombine bemüht, sich um Familien, denen es schlecht geht, sei es durch Krankheit, Vergewaltigung, soziale Unfairness. Wir bringen sie in eine Art Hotel, wo sie mit anderen Familien zusammen kommen, die das gleiche oder ein ähnliches Schicksal teilen. An diesem Ort gibt es dann nur ein Beispiel - ein indonesisches Appartement, da sieht es aus wie in Indonesien, dazu Musik und Kultur ... Es ist eigentlich eine Weltreise für Familien, die sich das nicht leisten können. Dann gibt es noch die Herman-van-Veen-Foundation, die chancenarmen Jungen Menschen weltweit Gelegenheit gibt, zu studieren oder einen Beruf zu lernen. Denn was man einmal gelernt hat, kann einem keiner mehr klauen. Das ist alles nicht sehr groß, aber auch nicht sehr klein.

Sie reisen seit mehr als 30 Jahren. Haben Sie das Gefühl, die Weit hat sich verändert, en gros oder en detail

Im Großen sehe ich Reiche reicher und Arme ärmer werden. Das hat zu tun mit einem Virus, das nennt man Globalisierung, ein peinliches Wort. Im Kleinen passiert unwahrscheinlich viel: Ein Mädchen schrieb mir einen Brief, 15 Jahre alt, hatte Leukämie. Sie wäre gern in mein Konzert gekommen, konnte aber nicht, sie hing an Geräten, kam da nie weg, und so bin ich hin gegangen. Ich habe gesagt, wir sorgen dafür, dass du in die Ferien gehen kannst. Das war der Anfang vom Colombine-Haus. Dann ist sie dahin rollt mit der ganzen Familie und allen Geräten. Und sie ist dort gestorben, das war drei Jahre später. Die Eltern waren sehr dankbar, sie sagten, sie hätte diese drei Jahre sonst nicht überlebt. Weiter kann unser Blick nicht gehen: für diese Familie war es ein Unterschied, ob das Kind mit, l6 oder 18 starb.

Weiches Gefühl haben Sie, wenn Sie von Holland nach Deutschland reisen denken Sie manchmal an die deutsche Vergangenheit?

Für mich ist diese Reise mittlerweile die Reise nach Haus geworden. Das ist immer so, wenn ich oft genug irgendwo war.
Ich kenne dieses Land als kein Deutscher, aber ich kenne Landschaft, Städte Hotels und die Kirchen. Wenn man alle Tage zusammen nimmt, war ich in meinem Leben bestimmt ein ganzes Jahr lang in Berlin. Und auch die Sprache, die ich nicht gut spreche, spreche ich gut genug, um mich zu äußern. Deutschland ist ein Teil von mir. Die deutsche Vergangenheit ist also auch meine Vergangenheit geworden, und nicht nur Deine.

Worüber streiten Sie mit anderen Menschen?

Mein Streit ist, wenn ich erkläre, das meiste ist Ballast, schmeißt Euren Ballast weg. Lass mich die Hälfte von deinem Glück erleben, das gibt mir die Kraft, die Hälfte von Deinem Scheiß zu tragen. Und ich will nicht mehr der sein, der "Kleiner Fratz" singen muss. Der kleine Fratz ist 33 Jahre alt und Mutter geworden. Man muss leben, mit dem, was ich bin: Holländer, 56 Jahre alt, Großvater, der immer noch nichts weiß, der aber was gesehen hat.





terug naar de index