Aachener Zeitung
Bernd Büttgens

Herman van Veen gewährt tiefe Einblicke



26 0ktober 2013
AACHEN. Als alle glaubten, dass jetzt das Ende des Konzertes erreicht sei - schließlich waren ja schon zehn Zugaben gespielt und es ging auf Mitternacht zu - da lagen alle falsch. Herman van Veen trat am Freitagabend ein weiteres Mal auf die Bühne des Eurogress in Aachen, diesmal mit dem eigenen Songbuch in der Hand. Das einstudierte Konzertprogramm war erschöpft, aber im Archiv ließ sich dann doch noch einiges finden.


Zur großen Freude der verzückten Fans. Doch das war nicht die einzige Besonderheit dieses denkwürdigen Abends. Ein van-Veen-Konzert ist immer ein Ausflug ins pralle Leben. Der Mann hat viel zu erzählen, 68 Jahre ist er inzwischen alt, sein künstlerisches Schalten ist mehr als beachtlich, er ist weitgereist, und er hat vor allem ein ausgeprägtes zärtliches Gefühl für seine Mitmenschen. Er mutet ihnen einiges zu bei seinen Konzerten, weil er so emotional ist und geradeheraus.

Ein politischer Kopf, ein charmanter Dickschädel, einer, der sich noch traut zu fragen und auf der Suche nach den Antworten das Publikum, aber auch sich selbst nicht schont. So vielfältig wie das Leben mit all seinen ernsten Momenten, mit Trauer, Abschied, mit all seinen Verwicklungen, Irritationen und Enttäuschungen, aber auch mit seinen leichten, fröhlichen, beschwingten, auch vollkommen banalen und albernen Augenblicken ist dieser Abend mit van Veen im Eurogress.

Es ist eine große Gabe, in einem Bühnenprogramm ohne sichtbare Anstrengung - und unkommentiert - vom himmelhochjauchzenden Glück in melancholische Szenen des schmerzhaften Abschieds überzublenden. Die erste Liebe, das Glück junger Eltern, das Scheitern in der Beziehung, die Dissonanzen des Alltags, der Gedächtnisverlust im Alter und die Fragen der Kinder - das Leben ist halt so. Herman van Veen, derzeit mit seinem aktuellen, den beiden Enkelsöhnen gewidmeten Programm "Für einen KUSS von Dir" auf Deutschland-Tour, geht der Stoff nicht aus.


Der feinfühlige Beobachter beschenkt sein Publikum mit seinen vielfältigen Begabungen. Er singt, er tanzt (und wie!), er spielt die Violine, die Gitarre, das Klavier, er trommelt, er dichtet, er kalauert, und er gibt gerne ab: zum Beispiel viel Applaus für seine hinreißende Band. Auch das ist bewegend, mit dem Pianisten Erik van der Wurff, diesem äußerlich ungerührten, doch innerlich tiefl zugewandten Gefahrten, spielt van Veen nun 50 Jahre auf den Bühnen der Welt

Das Publikum applaudierte gerührt. Zusammen mit Edith Leerkes, der Gitarristin, mit der Violinistin Jannemien Cnossen und den beiden jungen Kollegen, Willem Wits am Schlagzeug und dem Bassisten Dave Wismeijer, sind sie mehr als ein routiniert eingespieltes Ensemble, das auf Blickkontakt fulminante musikalische Kapriolen schlägt. Diese Band ist Familie, da stehen Verbündete auf der Bühne, die sich gegenseitig an immer neue Möglichkeiten heranführen.

Und die sich auch nicht aus der Ruhe bringen lassen, als plötzlich für kurze Zeit auf der Bühne der Ton ausfällt. Van Veen nimmt es gelassen und sportlich: "Das habe ich in 50 Jahren auf der Bühne auch noch nicht erlebt." In Aachen sehen van Veen und seine Komplizen sich an diesem Abend einem begeisterten Publikum gegenüber.

Die hohe Gabe des Künstlers, jedem einzelnen Gast das Gefühl von Nähe und Vertrautheit zu vermitteln, geht im Eurogress tausendprozentig auf. Weil der niederländische Nationalheld beherzigt, was er selbst besingt: Keiner hat gesagt, dass es so einfach ist, gut zu sein, ehrlich zu sein, ja, ein Optimist zu sein! Schwierig ist es, diese simple Botschaft tatsächlich zu leben. Für freundliche verbale Handreichungen dieser Art ist das Publikum van Veen dankbar. Es ist ein Abend über die Menschlichkeit, stets am Puls der Zeit, kein bisschen verklärt, eher entwaffnend ehrlich.

Es ist ein Abend mit vielen Rückblicken, mit vielen Erinnerungen, also Hits, die Generationen begleiteten. Aber auch mit dem Blick nach vorne. Van Veen singt viel vom Älterwerden, vom Tod, er macht das auf seine unverblümte Art. Ja, es stimmt, dass er das immer schon getan hat, dass er immer schon das Ende nahen sah. "Nur früher", lacht er, "haben diese Lieder Titel wie Später mal gehabt..." Und dann zupft er der roten Rose und Blütenblatt aus und klebt es sich auf die Nase. Der Clown lächelt und verneigt sich.



Bernd Büttgens