Kleine Zeitung (At)
MANUELA SWOBODA

Herman van Veen: Der Schirmherr der Glückssucher

26 januari 2013

Die Welt wird vielleicht nicht besser, aber schöner mit ihm: Mit seinem neuen Album "Für einen Kuss von dir" tourt Herman van Veen um die Welt und stoppt auch in Graz.


Ihre Lieder, so sagen Sie selbst, lassen sich herunterbrechen auf die Themen: "Baum, Haus, Straße, Papa, Mama, Mann, Frau." Ist das das pralle Leben?
HERMAN VAN VEEN: Na ja, das ist es doch, was das Leben ausmacht. Okay, ich könnte auch noch die Musik dazugeben. Ich versuche bei einem Lied oder Gedicht, alles auf einen Teller zu bekommen. Auf dem Teller liegt dann das, was ich kenne, und dann beginne ich zu arrangieren. Und es liegen besonders viele Geschichten von meinem Vater oder meiner Mutter auf diesem Teller.

"Ein Witz ist eine besiegte Träne" - Das war ein Leitspruch Ihrer Mutter. Haben Sie das auch verinnerlicht?
HERMAN VAN VEEN: Natürlich! Als Kind habe ich sie einmal gefragt: "Mama, was kommt nach dem Tod?" Ihre Antwort: "Die Rechnung." (lacht). Sie war eine große Philosophin. Dabei hatte Mutter überhaupt keine Schulbildung, weil es in der Kriegszeit für sie unmöglich war. Sie stammt aus einfachsten Verhältnissen und hatte nur drei, vier Klassen Grundschule. Also ist die Putzfrau geworden. Aber sie war weise. Sie hatte immer ein ernstes Gesicht, aber ihre Augen haben gelacht.

Wie Sie. Auch auf dem Cover Ihres neuen Albums "Für einen Kuss von dir".
HERMAN VAN VEEN: Ist das so? Ich habe später Mutters Tagebücher geerbt, und da fand ich Sätze wie: "Ich habe auf Hermans Kinder 1200 Mal aufgepasst." (lacht). Das ist okay, ich habe vier Kinder, da gab es viel aufzupassen. Unter dem Motto: Bevor ich in die Kiste steige, schreibe ich noch auf, was ich so getan habe, damit das auch mein Sohn weiß. So war sie.

Beschäftigen Sie sich denn mit dem Tod?
HERMAN VAN VEEN: Ich bin 67. In meinem Alter lebt man buchstäblich in einem Herbstwald. Was in meiner Umgebung umkippt, kann ich gar nicht beschreiben. Es ist eine Plage. Ich habe das große Glück, dass bei mir bisher noch alles funktioniert, aber links und rechts merke ich schon: Ei, was ist denn das? Und dann bekomm' ich meinen Rücken doch wieder gerade. Es knackst links und rechts, aber noch kann ich tun, was ich auch mit 20 tun konnte.

So, wie Sie bei Konzerten auf der Bühne herumhüpfen, merkt man nichts vom Knacksen.
HERMAN VAN VEEN: Ja, und ich bin auch froh, dass selbst das Hüpfen noch funktioniert. Also ich wünsche mir ja, wenn ich sterbe, dass ich nicht dabei bin.

Wie Woody Allen, der sagt: Ich fürchte mich nicht vor dem Sterben. Ich will nur nicht dabei sein, wenn es passiert?

HERMAN VAN VEEN: Ja, es ist so schlimm, dass irgendwann nur noch Schmerz, Leid und Albtraum kommen und letzten Endes liegt man dann in einem Bett und hat keine Ahnung oder hat sogar noch eine Ahnung, was mit einem passiert. Das ist hart. Von einer niederländischen Dichterin stammt der schöne Satz: "Und wenn ich sterben möchte, gebt mir recht." Man möchte doch nicht nur wachsende Nägel sein. Noch genieße ich das Leben, aber ob auch ich schon eine Bombe in mir trage, die irgendwann implodiert? Keine Ahnung.

Sie sind mit einem neuen Album im Gepäck auf Tournee: Werden Sie bei Ihrem Grazer Konzert mehr daraus spielen?
HERMAN VAN VEEN: Weiß ich nicht. Weiß ich wirklich nicht. Denn jedes Konzert hat eine eigene Dramaturgie. Die Dramaturgie des Tages. Bei jedem Konzert habe ich einen Bezug zum aktuellen Geschehen des Tages, durch aktuelle Dinge. Und ich will auch nicht schon am Morgen wissen, was wir abends auf der Bühne spielen, so wird jedes Konzert spannend. Das sehen auch mein Musikerkollegen so, sonst würde ich das ja nicht machen. Die fühlen sich auch wohl, wenn wir erst auf der Bühne entscheiden, was wir spielen. Das ist lebendig!

Assoziationen mit Österreich?
HERMAN VAN VEEN: Grün. Die Berge. Die sind ja für einen Niederländer so was von erstaunlich: Denn dadurch, dass es bei uns so platt ist, sehen wir sogar, wenn in London jemand auf sein Fahrrad steigt.

Gehört es zur Legendenbildung, dass sie Mitglied im niederländischen Alpenverein waren? Gibt es so etwas überhaupt?
VAN VEEN: Aber ja doch! Auch wenn es absurd klingt (lacht). Ich habe als Jugendlicher ganz toll Klettern gelernt.

Ja, wo denn?
HERMAN VAN VEEN: In einer Fabrikshalle. Ein Turnlehrer von mir war ein echter Alpenfreak. Mit ihm und vier, fünf Freunden, sind wir auch in Österreich über die Berge, von Hütte zu Hütte. Und dafür musste ich eben klettern lernen. Und wenn's nur eine Halle war. Ich freue mich schon auf die Berge in Österreich, auf diesen Blick, wenn eine Wand nach oben fährt.

Auf den beschränkten Blick?
HERMAN VAN VEEN: Gar nicht! Ich habe ja sogar meine Flitterwochen in Österreichs Bergen verbracht. In der Nähe von St. Anton.

Der Titel Ihres neuen Albums "Für einen Kuss von dir" bezieht sich auf Ihre Enkel. Wenn Sie die Kleinen sehen: Hätten Sie Lust wieder dort zu beginnen?
HERMAN VAN VEEN: Es ist nicht leicht, heute Kind zu sein. Denke ich. Wenn ich sehe, wie viel Information sie verkraften müssen. Bei uns war der Zeitvertreib die Straße, der Laternenpfahl, Fußball. Oder ein Buch. Heute haben Kinder Zugang zur ganzen Welt, das ist nicht nur wunderbar.

Haben es Ihre Enkel wirklich schwerer als Sie?
HERMAN VAN VEEN: Das denke ich wohl. Aber ich glaube, dass die Kinder das nicht realisieren. Jede Generation versucht nun einmal ihr Glück zu finden.

Apropos: Just Mark Rutte, der Ministerpräsident Ihrer holländischen Heimat, hat gesagt, dass sein Land nicht mehr offen stehe für die "Glückssucher" - er meinte Migranten.
HERMAN VAN VEEN: Für mich ich ist das blanker Zynismus. Wenn ich ein Kind habe, das krank ist, und in meinem Dorf gibt es keine Hilfe, dann suche ich sie doch woanders. Wenn wir nichts zu essen haben, gehen wir doch alle Essen suchen. Das ist nur menschlich. Und das hört doch, verdammt nochmal, nicht vor der holländischen Grenze auf! Aber ich weiß schon, in ökonomisch schwierigen Zeiten wird auch die Mitmenschlichkeit zum Problem. Nur: Die ganze Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte von Menschen auf der Suche nach ein bisschen Glück.



MANUELA SWOBODA