Leipziger Volkszeitung
Lars Schmidt

Poesie und Entertainment:

Hermann Van Veen in der Oper Leipzig

22 feb 2013

Für Hermann van Veen ist das ein Heimspiel. Er war schon oft in der Oper Leipzig zu Gast, immer war es ausverkauft, diesmal gleich drei Abende lang. Ohne lange Vorrede präsentiert er im ersten Song seine in jeder Position exzellent besetzte Band. Das sind zunächst die Youngster, beide Anfang 20, die links und rechts außen für den Rhythmus sorgen. Willem Wits mit Energie, Drive und Feingefühl auf seiner Percussion-Insel und Dave Wismeijer, der seinen Bass verblüffend filigran sowohl oldfashioned mit Plektrum, als auch groovy mit den Fingerkuppen bearbeitet. Da ist Jannemien Cnossen, attraktiv und souverän an der Violine, energisch am Mikro. Da ist vor allem Edith Leerkes aus Enschede, die eine virtuose klassische Gitarre mit kaum zu überhörender Affinität zum Flamenco spielt. Sie allein wäre das Eintrittsgeld wert - und der Meister gibt ihr hinreichend Gelegenheit zu brillieren.


Der Unauffälligste auf der Bühne ist ausgerechnet das musikalische Alter Ego van Veens, Erik van der Wurff am Flügel, der den Chansonnier von Beginn an begleitet. Van Veen ist selbst Multiinstrumentalist, überzeugt an Gitarre, Geige, Flügel, Mundharmonika und Cajon. Vor allem aber am Mikro und mit raumgreifender Bühnenpräsenz. Berührende Chansons in Deutsch, Französisch und Nederlands wechseln mit flotten Popnummern und instrumentalen Kabinettstückchen. Alles wirkt spontan, folgt aber einer sorgsamen Dramaturgie. Da stimmt auch im ausgelassensten Bühnentrubel jeder Einsatz, hat jeder im pausenlosen Wechsel seinen Platz. Wenig Technik, doch penibel abgemischt, die Akustik des Hauses tut das Ihrige. Immer wieder gibt van Veen spielerische Tanzeinlagen, wirbelt auf der Bühne herum ohne die geringsten Anzeichen, wenigstens mal tief Atem holen zu müssen: Der Mann hüpft und springt wie ein Tennisball auf die 70 zu und kokettiert lustvoll damit.

Immer, wenn eines seiner tiefen leisen Lieder eine mächtigen Bugwelle von Bedeutung aufgebaut hat, etwa bei jenem schlicht herzzerreißenden Song vom Jungen, der seinem neuen Papa das Gutenachtküsschen geben muss und sich dabei verzweifelt nach dem richtigen sehnt, ebnet der Meister die Wogen sofort mit einem Witz oder einer sympathisch-albernen Slapstickeinlage. Wohl wissend, in welchen Haus er auftritt, schickt er das Publikum mit einer deftigen Opernparodie kichernd in die Pause. Danach - als kleine Pflichtaufgabe - eine verfremdete Reminiszenz an Alfred Jodocus Kwak, die fröhliche Ente, die einst den Luftraum in deutschen Kinderzimmern beherrschte. Sonst bleibt der Abend in seiner hinreißenden Melange aus poetischer Tiefe und entspanntem Entertainment weitgehend hitfrei. Was niemanden zu stören scheint: Frenetischer Beifall fordert und erringt immer neue Zugaben.

Der Ausklang ist ein Muster van Veenscher Schalksnarrigkeit: Als nach mehrfachem Abschied doch der letzte Song verklungen scheint, das Rhythmusklatschen abebbt und sich die Seiten-Türen öffnen, wartet er, bis die Eiligen sich ihre vorderen Plätze an der Garderobe erhastet haben - und kommt grinsend zurück auf die Bühne. Ein weiteres Lied vor halb leerem, begeistertem Saal. Dann brechen alle auf. Schönes Konzert. Doch er kommt noch mal, um die letzten Ausharrenden ganz leise und intim in die Winterkälte zu schicken. Die indes spürt keiner, der diesen Abend erlebt hat. Lars Schmidt