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ANNEKE QUASDORF

Der fiedelnde Holländer

Porträt: Herman van Veen

20 april 2013

Es ist ein sehr kleines Haus, irgendwo im holländischen Utrecht, aus dem Mitte der 50er Jahre plötzlich merkwürdige, um nicht zu sagen, scheußliche Töne dringen. Der Junge, der sie hervorbringt, heißt Hermannus Jantinus. Er geht in die vierte Klasse und hat gerade von seinem Lehrer eine Geige in die Hand gedrückt bekommen – damit er nicht mehr pfeift. "Der hat gesagt: Hör damit auf. Ich geb dir eine Geige, pfeif darauf", sagt Herman van Veen 60 Jahre später und lehnt sich auf dem schwarzen Ledersofa in seiner Garderobe zurück.


Erstaunlich, dass es ausgerechnet eine gute Portion Pragmatismus gewesen ist, die einen der bekanntesten europäischen Poeten hervorgebracht hat. Seit fast 50 Jahren steht Herman van Veen auf der Bühne, als Liedermacher, Musiker, Komponist, Kabarettist. Im vergangenen Jahr erschien sein 29. Studioalbum, insgesamt, so schätzte er selbst, sei er "mit schuld" an 3.000 Liedern – das war allerdings bereits 2006. Und er erfand eine der liebenswertesten Zeichentrickfiguren der Welt, die Ente Alfred Jodokus Kwak.

Den hingebungsvollen Entertainer und einfühlsamen Kinderfreund in dem Mann zu erkennen, der an diesem Nachmittag zum Gespräch in die Düsseldorfer Tonhalle gebeten hat, ist allerdings gar nicht so leicht. Ganz in Schwarz gekleidet wirkt van Veen sehr ernst, fast streng und abweisend. Auch bei der Erinnerung an die Kindheit verziehen sich seine Mundwinkel kaum zu einem Lächeln. Erst, wenn er ins Erzählen kommt, seine sanfte Stimme mit dem freundlichen, niederländischen Akzent erklingt, wird die Strenge abgemildert. Dann kann sich jener Charme entfalten, der seit Jahrzehnten Zuschauer in ganz Europa in van Veens Bann zieht und die Konzertsäle füllt.


Herman van Veen bezeichnet sich selbst als Clown


Der Ernst, fast schon eine Melancholie, weicht dagegen nicht. Eine Überraschung dürfte das eigentlich nicht sein, schließlich beschreibt van Veen sich von jeher als Clown. Den dummen August, den bunt bemalten Tölpel und Pausenfüller hat er damit aber nie gemeint, sondern immer den weisen, scharfsinnigen Beobachter der Realität.

Die kann nun mal schmerzhaft und traurig sein – und genau das lässt ihn nicht los. "Ich habe gerade ein Buch gelesen, in dem stand: Jetzt gerade, in diesen Momenten, sterben drei Millionen Kindern an Hunger. Und gleichzeitig stehen Millionen vollkommen unbedeutende Dinge in unseren Zeitungen. Das ist das, was mich umtreibt. Die Wirklichkeit, die harte, brutale, ist nicht unsere Wirklichkeit. Und das will ich den Menschen erklären: Dass es so nicht weitergehen kann, dass wir damit zu tun haben, dass es uns alle angeht."

Ein Gespräch mit Herman van Veen ist so. Tiefgründig. Sinnsuchend. Denn während er mit einem Zuhörer spricht, wirkt es so, als erzähle er das alles gleichzeitig auch sich selbst, horche tief in sich hinein, um die Richtigkeit des Gesagten zu überprüfen und neue Gedanken darin zu entdecken. Seine Lieder entstehen so. Da ist kein Platz für Gedümpel an der Oberfläche, für knappe, sauber abgegrenzte Antworten.

Die Menschen abzuholen, sie zu verstehen, ist aber nicht nur Motivation, sondern auch ein Ideal, an dem er schon gescheitert ist. Denn die Musik ist eigentlich nur Plan B. Lange Zeit gab es ein anderes Ziel: Lehrer werden. Van Veen versuchte es und merkte bald, dass er hier nicht schaffen konnte, was ihm dringlichstes Anliegen war. "Weil ich, immer wenn einer kleiner Junge aus dem Fenster guckte und nicht zuhörte und ganz offensichtlich einen Schmerz oder ein Problem hatte, einen Weg zu ihm finden wollte. Das war aber nicht möglich bei 44 weiteren Schülern in der Klasse. Und dann musst du den zurücklassen. Das konnte ich nicht."


Vielleicht ist es die kindliche Seele, die van Veen mit den Kindern verbindet?


Den Draht zu den Kindern hat er trotzdem nie verloren. Und das ist das, was auch viele Erwachsene an ihm fasziniert: die einfache, selbstverständliche Art, zu kommunizieren. Erklären kann van Veen sich die Verbindung bis heute nicht. "Ich kann Kind sein mit den Kindern. Ich weiß nicht, was das ist. Aber ich tue da scheinbar etwas, was ihnen Vertrauen gibt." So viel Vertrauen, dass mitunter wildfremde Kinder zu ihm kommen, mit ihm plaudern oder sich einfach auf seinen Schoß setzen, wenn er an einem Flughafen oder Bahnhof wartet. Und manchmal, da sitzt er mit seiner Familie in der Küche, und tauscht diese Blicke mit seinen Enkeln. "Und da gibt es ein Einverständnis, da sind deren Eltern vollkommen raus. Wir haben dann zusammen eine Meinung darüber, was die Erwachsenen tun – obwohl ich doch eigentlich selbst ein Erwachsener bin."

Vielleicht ist es diese kindliche Seele in ihm, die sich erbittert gegen ein Thema wehrt, das den Sänger gerade sehr beschäftigt: der Tod. Vor vier Wochen ist ein langjähriger Weggefährte und guter Freund gestorben, Harald Siepermann, der Zeichner der Ente Alfred. Wenn Van Veen von ihm spricht, dann ist deutlich zu merken, dass er das Älterwerden, das Vorbeisein nicht akzeptieren kann – und gleichzeitig weiß, dass er akzeptieren muss.

Also tut er, was er am besten kann: Er macht Musik daraus. "Wenn ich mich bücke, dann tun mir die Ohren weh" beschreibt er seine körperlichen Gebrechen in einem seiner Lieder. Die Ängste bekämpft das nicht immer. "Heute habe ich einen Bericht in der Zeitung gelesen über Darmkrebs. Und dann denke ich: Scheiße, habe ich das auch? Weil, ich habe auch ab und zu diese Beschwerden, von denen da zu lesen ist. Muss ich dann ins Krankenhaus oder bin ich ein Hypochonder? Keine Ahnung! Im Älterwerden kriegt man diese Gedanken öfter."

Sein Vater, daran erinnert er sich noch gut, ist lächelnd gestorben, vor dem Fernseher, mit einem Glas Schnaps in der Hand. Eine Vorstellung, die ihm auch für sich selbst gefällt. Und dann ist da wieder der Clown in ihm, der Kindlichkeit und Realität unter einen Hut bringen muss. Der weiß, dass es kein Entrinnen gibt und gleichzeitig dagegen aufbegehrt. "Und dann hoffe ich ganz ehrlich, dass ich irgendwann einfach zu alt bin zum Sterben. Oder dass der Tod nicht an mir interessiert ist. Dass ich so langweilig bin, dass man mich weder in der Hölle noch im Himmel haben will. Lasst den Typen da, wo er ist, lasst ihn seine Lieder singen!" Das würde auch vielen anderen gut gefallen.



Info
Herman in Bielefeld

Am Samstag, 20. April, präsentiert Herman van Veen sein Programm "Für einen Kuss von dir" um 20 Uhr in der Bielefelder Stadthalle. Mit Sprachwitz und viel Sensibilität besingt er die Frauen, den Regen, Maria Magdalena, Eltern, Sucht und Falten, Töchter, Söhne und Enkelkinder, Freundschaft, den Papst, Napoleon, die Gemeinheit des Wortes illegal, und natürlich nichts Geringeres als die Ewigkeit.
Karten gibt es ab 44,90 Ð bei NW und LZ oder unter www.erwin-event.de