Michael Frank schrieb am 13.10.1981 in der Süddeutschen Zeitung




Wie wohlschmeckendes Gift


Zur Deutschland-Tournee von Herman van Veen


"Jemand nannte indonesische Generale / die nettesten Menschen / die für Geld zu haben sind."


Dies sind die ersten Zeilen eines Liedes, das der Holländer Herman van Veen auf alle die singt, die die Macht über Menschen allein des materiellen Nutzens wegen lieben. Auf Grund der Geschichte der Niederlande, seiner Heimat, fällt von Veen die Herrscherclique in Djakarta ein, er hätte auch deren Kumpane in Mittelamerika oder sonst wo in der Welt nennen können.

Herman van Veen lebt von Geschichten über Menschen. Er sei Schauspieler, sagt er selbst. Tatsächlich ist er ein politischer Mensch, der mit Liedern, mit Musik, mit Versen, Mienen und Gesten Situationen spiegelt. Van Veen ist sehr gefragt - gerade hat er eine Tournee durch die Bundesrepublik begonnen - obwohl, oder vielleicht, weil seine Etikettierung nicht stimmt. Man nennt ihn Liedermacher, was noch weitgehend gleichbedeutend ist mit einem "politischen" Sänger, doch seinen Versen und Gesängen fehlt das Vokabular der politischen Kritik oder Politik-Verächter: Eigentlich ist Herman van Veen Lyriker.

Es gibt Leute, die Früchten sich vor seinen Liedern. Aber die Kinder, die über das Fernsehen in einer hinreißenden Serie von den phantastischen Seiten der Wirklichkeit mit ihm zu tun bekamen, lieben ihn, diesen hageren, blonden, sonderbar elastischen Mittdreißiger, der ebenso elastisch, ungeachtet formaler Fehlschlingen, inhaltlich präzise die deutsche Sprache modelliert.
Angst macht vielen die Direktheit, mit der der musikalisch so sanfte Sang erbarmungslos die Wirklichkeit konkreter Situationen nachzeichnet. Es ist, als schlürfe man einen Becher wohlschmeckenden Giftes. Ehrlichkeit verkraften die natürlich wenig, die die Zwischenmenschlichkeit längst auf diplomatische Formeln haben verkommen lassen; Ehrlichkeit, der Mangel an Umwegen und Umschweifen ist dafür ein Elixier für die im besten Sinne kindlichen Gemüter, denen es ein besonderer Reiz ist, sich einmal die eigene Lage vorsingen zu lassen; das Versanden einer Beziehung, die dreiste Tatenlosigkeit in der politischen Gemeinschaft, die träge Duldung, wenn veröffentlichte, vereinbarte "Mehrheitsmeinungen" sich gegen den souveränen Menschen zu wenden beginnen.

Herman van Veen hat kein Talent zum Deklamieren. Reden halten, um aufzurütteln, könnte er schon deshalb nicht, weil seine Gedankenarbeit deutlich der Geschwindigkeit der Sprache und ihrer Präzision vorauseilt. Er sagt: "Ich weiß immer viel mehr, als ich auf der Bühne kann!" Van Veen muß seine Wirklichkeit konkret transportieren, mit Kleinigkeiten und Kleinlichkeiten erklären. Singt er ein Lied, sanft und eigentlich böse (nie aber böse gemeint), in dem die dumpfe Bequemlichkeit die Zuneigung eines Mannes nie zu wirklicher Zuwendung zu seiner Frau gedeihen lässt, dann durchziehen alle Zuhörer Assoziationen von genau diesen Momenten, in denen Gleichgültigkeit eine Beziehung zerstört. Redet man mit Herman van Veen über seine Lieder, seine Kunst, dann äußert er sich oft mit großem Gestus, garniert mit politischer Gesellschaftsanalyse, manchmal missionarisch, visionär, gelegentlich auch dröhnend. Aber er weiß, das Deklamatorische aus seiner Kunst herauszulassen.

Van Veen erzeugt bei vielen Verehrung, ja Verwunderung, nie aber Enthusiasmus. Zu sehr kümmert er sich nur um das Normale, ja Übliche. Sensationell könnte man allenfalls seine Gabe nennen, die Wirklichkeit so unsensationell eindrücklich darzustellen.

Dieser Mann ist nicht zynisch, sondern benutzt seine Gabe, Ironie trefflich einzusetzen. Verächtliche Formulierungen gelingen ihm kaum, weil er sich - wohl in Kenntnis der eigenen Schwächen - um eine Grundsympathie, Grundsolidarität mit den von ihm Getadelten, manchmal Geschmähten oder in Molltönen Verfluchten nicht herumdrücken kann.
Natürlich, er hat, sagt er, schon so manchen mit seinen Liedern verletzt; "aber letztlich war ich es, der am meisten verletzt war".
Das kennzeichnet seine Unfähigkeit, beckmesserisch von außen Zensuren zu erteilen. Herman van Veen wird sichtlich die Betroffenheit nicht los. Und darum wurde aus ihm ein wundersamer Künstler, der sich bei aller Milde unterscheidet von den andern Liedermachern, die überwiegend zu zynischen Besserwissern geworden sind.

Während seiner ausgedehnten Deutschlandtournee tritt Herman van Veen am 1. und 2. November in München auf.



Michael Frank