WAZ Der Westen
Martina Schürman

Herman van Veen und das digitale Riechen

6 september 2013

Der holländische Sänger, Poet und Liedermacher Herman van Veen sprach für die Mercator-Stifutung über die Bedeutung von kultureller Bildung für Kinder – und mit uns auch über seine Kindheit und Schulzeit, über das Internet und Syrien.

Er verehrt Frauen mit „Sinn für jeden Unsinn“, aber Bildung durch und mit Kunst, Musik und Literatur hält er für unerlässlich: Herman van Veen (68), holländischer Liedermacher, Sänger, Clown und Entertainer, sprach für die Essener Mercator Stiftung in der Essener Philharmonie – und Martina Schürmann mit ihm über das Thema.



Herr van Veen, Sie sind Sänger, Musikclown, Trostspender und Geschichtenerzähler. Aber eigentlich wollten Sie mal Musiklehrer werden. Haben Sie Schule gemocht?
Herman van Veen: Ich kann da nur mit Erich Fried sprechen: Es ist, was es ist. Ich habe nie groß darüber nachgedacht. Aber eigentlich waren meine Gedanken oft mehr nach draußen gerichtet als auf die Tafel. An Abenden wie diesen erinnere ich mich manchmal daran: Wenn alle sehr schnell sprechen und ich bekomme nicht alles mit, dann fühle ich mich wie damals in der Schule. Da verschwinde ich dann in Gedanken. Das ist kein Desinteresse, aber es geht einfach zu fix. Dann fühlt man sich unwohl, wie im Unterricht. Und wenn man fragt: Worüber sprechen Sie, dann gilt man sehr schnell als blöd. Und so isoliert man sich immer weiter.

Also dann lieber Musik und Kunst statt Mathe und Physik, wo keiner gerne zuhört?
van Veen: Kulturelle Bildung ist schon deshalb wichtig, weil erst sie die Kinder flexibel macht in ihren intellektuellen Möglichkeiten. Ich habe heute erst den Blog eines Mädchens gelesen, das war brillant in der Schule, hat Abitur, Studium. Aber die Welt kann mit all ihrem Wissen nichts anfangen, es gibt keine Jobs. Das ist für sie total frustrierend. Zu wissen, dass immer alles anders kommen kann, als mal geplant, das ist wichtig. Und beruhigend. Dann wird man später weniger enttäuscht.

Was hat Sie denn schlauer gemacht. Die Schule oder das Leben?
van Veen: Was für mich zählt, ist nicht unbedingt Seite 28 aus dem Roman von Solschenizyn oder der 804. Takt von Haydn. Für mich zählt vor allem ein Bild: Ich war vielleicht vier, da habe ich mit meinen Eltern in Katwijk aan Zee Ferien gemacht. Wir sind die Dünen raufgeklettert und oben war ich total kaputt, aber dann sah ich das Meer. Und ich sah Raum. Das sind Erfahrungen, die man machen muss, bei der Hand genommen werden und sehen: Das liegt alles für dich bereit. Das kannst du entdecken.

Was müssen wir denn überhaupt noch lernen, seit doch alles längst bei Wikipedia steht?
van Veen: Vieles. Internet ist eine phänomenale Möglichkeit, aber man kann digital nicht riechen.

Sind Sie denn selber aktiver Internet-Nutzer?
van Veen: Ich war einer der ersten auf unserer Erde, der einen Computer hatte. Aber ich hatte auch einen Sohn. Der hat das Ding so schnell ausein­andergenommen, dass ich nach zwei Tagen keinen Computer mehr hatte. Die Kinder sind immer Lichtjahre voraus, was soll ich da tun? Ich habe heute einen Laptop, den nutze ich für Fotos und als Enzyklopädie. Facebook, Twitter und so weiter gibt es bei Herman van Veen natürlich auch. Aber das mache ich nicht selber, das ist mir zu praktisch.

Sie sind seit über 50 Jahren für das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen aktiv. Wenn Sie die Lage der Kinder wie derzeit in Syrien sehen, macht Sie das mutlos?
van Veen: Manchmal ja. Mein leider schon vor Jahren verstorbenen Vater hat in solchen Situationen mit einem Ohr vorm Radio geklebt und gesagt: Es geht immer los mit einem Schuss. Und dann gibt es ein Echo. Und das Echo empfinde ich gerade als sehr gefährlich. Ich hoffe, dass die Menschen trotzdem Ruhe bewahren und den Weg der Demokratie gehen. Das ist das Gute an den Vereinten Nationen. Es ist ein Platz, an dem die Welt sich trifft und miteinander plaudert. Wie komisch und bürokratisch das auch manchmal ist: Seid froh, dass es ein Haus gibt, wo die Leute noch miteinander reden.



Martina Schürman