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Bjanka Varmaz

Momente, die jeder kennt

Hermann van Veen in der Alten Oper

6 mei 2013



FRANKFURT KONZERT


Die Stecker sind bereits gezogen, der Große Saal der Alten Oper nahezu leer. Für die treuesten unter seinen Fans aber kein Grund, sich entmutigen zu lassen. Für die gefühlt zehnte Zugabe klatschen sie ihren Herman auf die Bühne zurück und während dieser den lang ersehnten Klassiker „Ich hab’ ein zärtliches Gefühl“ anstimmt, gibt es für wenige Minuten wieder Ton. Bereits vor vier Jahrzehnten hat Herman Van Veen diesen Titel hier gespielt, um sich jetzt – zehn Deutschlandtourneen und fast 140 Tonträger später – erneut die Ehre zu geben.


Zwischen den Zeilen


In gewohnter Manier erzählt der 68-jährige Entertainer, Kabarettist und Liedermacher von den kleinen Wahrheiten des Lebens, die nur so klein anmuten, wenn man sie aus der Ferne betrachtet. Mit scharfer Beobachtungsgabe schnappt er Gefühlsregungen auf, liest zwischen den Zeilen und transformiert das Eingefangene zu leisen Tönen von einfühlsamer und poetischer Tiefe. Ob er vom Abschied singt: „Du brauchst jetzt nicht zu bleiben, wenn du viel lieber gehen willst“ oder von Vergänglichkeit: „Wir ließen, was wir hatten, dann im Stich und suchten das, was uns verlassen hatte“ – auch in seiner neuen CD „Für einen Kuss von dir“ geht es um Befindlichkeiten, um Zwischenmenschliches.


Jodeln und Schuhplattlern


Van Veen greift Momente auf, die jeder kennt, doch kaum einer so auszudrücken weiß: Eine Gratwanderung zwischen Melancholie und Heiterkeit, die betroffen macht. In Erinnerungen an Krieg, Vater und Mutter lässt er vergangene Zeiten wieder aufleben, doch ohne der Gegenwart zu trotzen. Denn van Veen agiert gewitzt und äußerst präsent: Er jodelt, schuhplattlert und gibt sich nicht ungeschickt als Prima Ballerina.

Das hervorragend eingespielte Begleitensemble mit Erik van der Wurf am Piano, Edith Leerkes (Gitarre), Jannemien Cnossen (Geige), Dave Wismeijer (Bass) und Willem Wits am Percussion sorgt für rhythmische Klänge und umspielt van Veens Stimmgewalt mit einer charmanten Note. Dann wiederum beeindruckt es durch treibende Beats, die einem stampfenden Zug gleichen und mal eben Klassik auf Irish Folk prallen lassen.

Ein facettenreiches Programm zwischen Alt und Neu, das van Veens vielschichtiger Persönlichkeit gerecht wird. Er entlässt sein Publikum mit leichter Wehmut im Herzen, aber einem Mantel aus Erlebnissamt, der auch bei 3 Grad Außentemperatur wärmt.



Bjanka Varmaz