Andreas Radlmaier schrieb am Dienstag 13.01.1998 in der Münchner AZ




Romantiker mit knurrender Skepsis


Er hat sich gegen das Spektakel und für Ruhe mit Franz Schubert entschieden: Herman van Veen lässt es strömen. Der Entertainer kommt im Mai mit seinem neuen Programm "Nachbar" nach München.

"Ich bin ganz merkwürdig", sagt Herman van Veen, mittlerweile 52, mit Blick auf seine spartenverachtende Welt-Karriere, und hat dabei nur eines übersehen: den Gedankenstrich zwischen "merk" und "würdig". Auf diesem balanciert der Sänger, der tanzt, der Clown, der ein privates Kinderhilfswerk aufgebaut hat, der Geiger, der Filme dreht, weiter über die Abgründe dieser Welt. So souverän beiläufig, so raffiniert verschränkt wie selten zuvor.
"Nachbar" heißt das neue Programm, mit dem er am 1. und 2. Mai in den Circus Krone kommt. Der Poet, der mit der roten Rose eine Fliege erschlägt, und das furchteinflößende Riesenbaby, das zum "nationalen Erwachen" tapst, sind Passagiere auf einer Denkreise, bei der Aufwand klein- und Nachwirkung großgeschrieben werden.

AZ: "Nachbar" - ist das ihr Beitrag zur Eurodiskussion?
van Veen: Zunächst mal bin ich das natürlich von Euch. Und viele Momente im Konzert sind dramaturgisch so gesetzt, dass man das von allerlei Standpunkten betrachten kann. Wie ein Kreisverkehr. Im tiefsten Sinne versuche ich zu erklären: Wir brauchen einander unwahrscheinlich. Wir brauchen die Weisheit der Krebskranken, das Wissen der Toten, den Hunger der Schwarzen und die Arbeitslosigkeit von Japanern, um zu verstehen, wie sehr wir uns brauchen. Darum geht´s. Das versuche ich assoziativ wie bei einer Wirbelsäule Scheibe auf Scheibe aufzuschichten: Du wir haben eine Chance!

AZ: Wenn Negerpüppchen am Gängelband über die Bühne wandern, muß man an Ihre Bemerkung denken, Sie seien jüngst völlig "entgleist" von einer Südafrika-Tournee zurückgekommen.
van Veen: Ich habe immer gedacht, Faschismus ist ein Unfall in der Zeit, der stattfindet, weil allerlei Kräfte auf einmal aufeinander stoßen. In Südafrika habe ich erfahren, dass dort ein System war, das seit Hunderten von Jahren völlig durchdacht, beängstigend klug die Apartheid aufrecht erhielt. Ich war völlig durcheinander.

AZ: Diese Tournee ist also das Ergebnis davon?
van Veen: Exakt. Ich habe ja immer viele Dinge in meinem Koffer, die ich verarbeite, weil ich denke, das das wieder aktuell ist.

AZ: Ist die "Sehnsucht nach Traurigkeit" noch gewachsen?
van Veen: In der klassischen Clownerie gab es den dummen August und den Weißclown. Die verbinden sich bei komischerweise zu einem Charakter. Ich sehe mich immer och als gemäßigten Romantiker mit knurrender Skepsis. Großes Glück und große Wärme spürt man sehr oft in sehr traurigen Situationen. Jemand stirbt, man ist zusammen, die Leute sind nett und lieb zueinander. Man braucht fast Tote, um gemütlich zu werden. Auf der Bühne hüpfe ich so von einer Stimmung zur anderen.

AZ: Das ist ja nicht gehüpft...
van Veen: na gut, im Fluß...

AZ: Früher sind Sie viel mehr herumgerast in aufwendigen Kulissen. Das Spektakel nimmt ab, die Beiläufigkeit zu.
van Veen: Es implodiert viel mehr als früher. Und ich bin auch viel glücklicher. Als Mensch und im Job. Ich stehe viel mehr in meinen eigenen Schuhen. Ich traue mich mehr als früher. Ich habe das Recht erworben, mir Sorgen zu machen, ohne mich dafür zu schämen.

AZ: Sie trauen sich also jetzt ein Schubert-Lied zu singen?
van Veen: Ich finde das so schön. Vor allem ist "Du bist die Ruh" ein so wesentliches Lied für mich. Ich kann Liebe nicht umschreiben, aber ich kenne ein paar Menschen, die für mich die absolute Ruhe sind. Vater, Mutter, meine Kinder, meine Frau. Das ist das Wesentlichste. Ein anderes Beispiel: Als ich in Afrika zum ersten mal in einem Tierpark war, kam aus dem Nichts eine Antilope und die guckte mich so an, da war ich ganz gerührt von dieser Unschuld.

AZ: Sie haben das Drehbuch für einen Film namens "Nachtfalter" geschrieben, indem es um einen Alchimisten geht der Seelen bewahren möchte. Ist das autobiografisch?
van Veen: Natürlich. Das Konservative im Menschen ist das Bewahrenwollen, das Sammeln. Briefmarken, Gemälde, Museen. Das ist eine sehr explosive Situation. Dann fließt nichts mehr. Das ist dann nur noch für eine Elite. Es ist ein gutes Zeichen, dass immer mehr Leute einsehen, dass alles strömen muß. Das ist auch das gute am Internet. Diesem Informationsstrom.

AZ: Nur erfassen kann´s niemand.
van Veen: Aber man hat die Wahl. Das ist doch grandios. Jetzt bist du nicht mehr abhängig von einem Katholiken, der Dir sagt, wie die Welt ist. Du kannst jetzt auch jemanden hören der dir sagt, die Welt gibt´s gar nicht. Früher wäre man da schon verbrannt worden.

Ich bin umgekehrt in Richtung Leben
AZ: Sie singen, Sie wollen das Schiff nicht mehr auf Kurs bringen. Sentimentalität?
van Veen: Nein, ich bin nach einer schweren Krise vor zehn Jahren umgekehrt in Richtung Leben. Nur kann man die Probleme nicht bestreiten. Da ist alles so komplex. Ich hatte etwa die Idee, etwas für Entwicklungsländer zu tun. Und wenn es nur ein Tropfen war, war ich frustriert, das es nicht zwei Tropfen waren. Ich hab´s akzeptiert. Das heißt: Voll durch, aber sie wahnsinnig glücklich mit einem Tropfen!

AZ: Sie singen also solange, "bis der Papst Pariser verkauft"?
van Veen: Ja, der soll mal beginnen!