Peter E. Müller schreef 13 januari 2002 in Berliner Morgenpost

Der Vagant als Weltverbesserer

Herman van Veen im Friedrichstadtpalast



Wenn er das Dunkel der Bühne erhellt, spiegelt sich silberglänzendes Konfetti im Gauklermond. Er ist unberechenbar, überbordend, hemmungslos. Er ist poetisch und klamaukig gleichermaßen. Er singt, er tanzt, er macht Faxen. Er provoziert Rührung und Lachen. Und er ist endlich wieder in Berlin. Mit Herman van Veen, dem holländischen Vaganten mit dem charmanten Hang zum Pathos, schlägt im ausverkauften Friedrichstadtpalast die Stunde des Komödianten. "Was ich Dir singen wollte" hat er seine aktuelle Show überschrieben, mit der es ihm einmal mehr gelingt, den Glückshormonausstoß im Publikum auf ein Maximum zu steigern.

"Die Wahrheit ist viel besser zu begreifen, wenn sie klingt" heißt es im titelgebenden Lied, und in der Tat scheint es in diesem Programm mehr Musik als je zuvor zu geben. Da wird gefiedelt und getrommelt, melodienselig geschmachtet, werden Stimmungen aufgebaut und abrupt ins Gegenteil verkehrt. Mit kleinem Ensemble ist van Veen zu seinem mehrtägigen Gastspiel angereist. Natürlich gehört sein jahrzehntelanger Begleiter Erik van der Wurff am Piano dazu. Die virtuose Gitarristin Edith Leerkes zählt auch schon seit vielen Jahren zur Van-Veen-Musikerfamilie. Die junge Multiinstrumentalistin Winke Garcia und die singende Geigerin Jann komplettieren die aktuelle Live-Besetzung.

Herman van Veen ist eine außergewöhnliche Erscheinung. Nur im Rampenlicht entfaltet der 56-jährige Utrechter seine unnachahmliche Ausstrahlung. Keine noch so gute Plattenaufnahme kann dokumentieren, was geschieht, wenn man diesen Mann auf der Bühne loslässt. Da, und nur da, wird die ganze Kraft seiner Performance einsichtig. Er setzt Emotionen frei, wühlt in Gefühlen, entblößt seine Seele, kann gehörig auf die Tränendrüse drücken und dann wieder schallendes Gelächter provozieren. Er tanzt, zuckt und zappelt. Er markiert den Clown und hält uns den Spiegel unserer eigenen Unzulänglichkeiten, verdrängten Eitelkeiten und unterdrückten Leidenschaften vor.

Van Veen verbreitet die nüchterne Erkenntnis, dass auch Engel alt werden und so manchen Schutzengel-Job in den Sand setzen. Er lässt Papierboote der Erinnerung durch das Amsterdamer Flussviertel schaukeln. Und Jacques Brels "Ne me quitte pas" singt er als "Ich loz dir nischt gejn" auf jiddisch. Seine sanfte Stimme streichelt die Seele und kann dann wieder auf launische Weise derb werden. Urkomisch ist eine so stimmgewaltige wie ausufernde Opernparodie, die erst nach der Pause ihr Ende findet.

Großartig, wie Herman van Veens Musiker auf seine abrupten Stimmungswechsel einzugehen verstehen. Vieles wirkt auf chaotische Weise spontan und ist doch höchst durchdacht, mit dem einzigen Ziel, die Sinne zu schärfen und dem Verständnis unter den Menschen das Wort zu reden. Und zu singen. Er ist ein Weltverbesserer, der weiß, dass er mit einem Lied nicht viel ausrichten kann. Er singt es dennoch. Auch nach mehr als 30 Jahren auf der Bühne hat dieser Mann nichts von seiner stillen Magie eingebüßt.



Peter E. Müller