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Cord Wilhelm Kiel

Ganz großes Theater – einfach nur schön

30 sept 2012

Hameln. Die Ankündigung klingt vollmundig: „Herman van Veen berührt jeden, der jemals mit ihm in Berührung gekommen ist. (…) Er ist ein Magier der Worte, der aus scheinbar belanglosen Alltäglichkeiten emotionale Situationen herausarbeitet.“ Nun kennt man den Sensationalismus derartiger Vorab-Lobgesänge nur zu gut – es wird gern mit blumiger Sprache für „heiße Luft“ gesorgt. Was auf den ersten Blick selbst für eine Legende wie Hermann van Veen übertrieben anmutet, stimmt jedoch haargenau: Das Gastspiel des 67-jährigen Ausnahmekünstlers am Freitagabend im ausverkauften Hamelner Theater zeigt, dass Herman van Veen in einer ganz eigenen Liga spielt und sich seine Kunst mit niemand anderem vergleichen lässt.


Der kurz vor Kriegsende als Hermannus Jantinus van Veen in Utrecht geborene Künstler ist vieles in einer Person: Sänger, Multi-Instrumentalist, Schriftsteller, Clown, Maler und Schauspieler. Auf der Bühne outet er sich ferner als „Mitglied des holländischen Alpenvereins“, überrascht als Tänzer, Auf-der-Stelle-Sprinter, Panflöten-Imitator, Komödiant und Quasi-Magier. Das, was van Veen dort inszeniert, lässt sich kaum kategorisieren: Ist es ein Konzert? Clownerie? Philosophieunterricht mit Musikbegleitung? Gesungene Dichterlesung? Wie auch immer: Die Musik und die teils kindlich-fröhlichen, teils heftig melancholischen, aber immer in die Tiefe gehenden Texte bilden den Kern von van Veens Kunst. Mit seiner extrem ausdrucksstarken und variablen Stimme kann der 67jährige jedes Gefühl darstellen – und sogar den Inhalt einer Oper in fünf Minuten persiflieren.

Der Auftritt dieses einzigartigen Entertainers wirft zu Beginn allerdings auch Fragen auf: Was sollen die nackten Schaufensterpuppen in der rechten Ecke der Bühne? Warum präsentiert sich die musikalisch vorzügliche Gitarristin Edith Leerkes – die hin und wieder auch als Solistin brillieren darf – barfuß zum strengen Hosenanzug? Und wo hat van Veen die beiden jugendlichen Adjutanten am Bass und an der Perkussion her, die zwar stets brav im Hintergrund agieren, aber exzellent und sehr kreativ musizieren? Später wird klar: Ernsthaftigkeit und Clownerie, Surrealismus und Nachdenklichkeit sind immer wiederkehrende Motive dieses Abends. Das Programm trägt nicht umsonst den Titel der Autobiografie „Bevor ich es vergesse“: Hermann van Veen blickt zurück. Immer wieder tauchen in den Erinnerungen die Mama auf, der Vater, die (erste) Liebe, die Kinder.

Hermann van Veen wird für diesen Konzertabend, den wohl keiner der Anwesenden vergessen dürfte, mit minutenlangen Ovationen belohnt. Zwischendrin wirft er Reis oder Goldkonfetti auf die vorderen Reihen, Pappbecher fallen vom Bühnenhimmel, Luftballons entweichen aus einer Kiste, während der Artist mit einem Pingpongball hantiert. Manche Passagen des Programms sind so traurig, dass überall im Zuschauerraum Tränen aus den Augenwinkeln gewischt werden müssen. Vor allem das Gedenken an die Eltern („sie sind seit 12 Jahren tot, aber ich kann mich nicht daran gewöhnen, ihnen nur immer ähnlicher werden“) geht tief unter die Haut. Andere Showelemente sind so komisch, dass der Saal vor Lachsalven bebt. Und eine emotionalere Liebeserklärung an die eigene Tochter als „Anne“ ist wohl noch nie komponiert worden. Das ist ganz großes „Theater“ - und einfach nur schön!