A. Rauen schreef 22 november 2001 in de Leipziger Volkszeitung


1800 beteten und sangen mit Fliege, Führer und van Veen


"Kirche ist nicht mein Ding. Aber wenn hier Herman van Veen auftritt, den krieg ich anderswo nicht gleich wieder zu sehen, noch dazu gratis." Das freimütige Bekenntnis legte gestern Walther Bergt aus Sachsen-Anhalt vor Leipzigs Nikolaikirche ab. Diese hatten an dem Feiertag fast 1800 christlich oder - wie Rentner Bergt - auch nicht christlich gebundene Mitbürger zum Ziel. Die ersten standen 12.30 Uhr vor der Tür. Es ging um die besten Plätze und darum, wer am dichtesten dran ist, wenn 16 Uhr die ARD ihren Fernseh-Got-tesdienst zum Büß- und Bettag live von hier überträgt.
Einen Gottesdienst, den sich TV-Pfarrer Jürgen Fliege hier gewünscht und dafür den holländischen Liedermacher van Veen, die Kasseler Sängerin Mechthild Seitz und Pfarrer Christian Führer gewonnen hatte. Denn, so Fliege: Dieser Tag der Stille und Einkehr sei vielerorts abgeschafft, in Sachsen Gott sei Dank erhalten worden. Und weil es bei dieser Abschluss-Veranstaltung der Ökumenischen Friedensdekade der Kirchen um Gewalt, um den Krieg in Afghanistan und den Terror gegen die USA gehen sollte, habe sich Leipzigs Nikolaikirche angeboten. Die Kirche halt, die durch die friedliche Revolution zur Wende so bekannt wurde.
Als gegen 14 Uhr die ersten Besucher schließlich hinein durften, war das Gotteshaus bereits verstrippt und verkabelt, klebten an den Säulen zusätzliche Lampen, hatten sich TV-Kameras positioniert. Küster Detlev Clauß predigte unermüdlich, man möge bloß nicht übers Kabelgewirr am Boden stolpern. Gegen 14.30 Uhr war das Haus schon fast voll. Mit dabei Jutta Konrad: "Ich bin gespannt, ob Herr Fliege ebenso gut predigt wie er talkt. Denn das hat Niveau." Die ältere Frau war mit ihrem Mann eigens aus Goslar angereist.
Zu sehen kriegten die meist älteren Besucher die Akteure schon mal 15.30 Uhr - um fürs Fernsehen zu üben. Vor allem ein altes englisches Schutz- und Abendlied. Dazu jede Menge Anweisungen: Handys aus. Nicht klatschen, nicht fotografieren. Für letzteres gab's für Besucher und Presse letztmalig fünf vor Vier Gele genheit - entsprechend groß wuchs die Traube der Kamerafreunde um Fliege und van Veen. Dann wurde es ernst. In seiner Predigt beklagte Fliege unter anderem, dass die Welt derzeit einen Schock erlebe, der, im biblischen Sinne, ein heilsamer sein möge. Indem inne gehalten, nachgedacht und vor allem miteinander geredet werden soll, wie die Gewalt in der Welt gestoppt werden kann. Mit vier nachdenklichen Liedern unterstrich das van Veen. So zum Beispiel mit einer aktualisierten Fassung von "Signale": "Die Opfer religiösen Wahns, die Flüchtlinge Afghanistans. Die Amis mit der Angst vor dem Tod, der durch den Briefschlitz droht ..." Der sensible Holländer mahnte an, sich von einer sich globalisierenden Angst nicht unterkriegen zu lassen.

Unterdessen thematisierte Fliege im Gottesdienst aber auch Leid und Verständnis füreinander im privaten Bereich. Auf berührende Art "talkte" er dazu mit einer sehr couragierten Katrin Hart, die derzeit um ihren Mann bangt. Der Kabarettist und Mitbegründer der academixer, Jürgen Hart, ist schwer erkrankt und liegt in einer Leipziger Klinik. So wie sie sich derzeit am Krankenbett mit ihrem Mann über alle anstehenden Probleme austauscht, könnte es auch eine Botschaft an "die Starken in dieser Welt sein": Sich mal in Ruhe hinzusetzen, miteinander besprechen, was zu tun ist, um weiteres Leid zu verhindern, appellierte Katrin Hart.

Dem Gottesdienst schloss sich ein Kerzenweg "Leipzig steht auf- Friede jetzt" durch die City an. A. Rauhen