Wolfgang Hirsch schreef 12 feb 2003 in de Thuringische Landeszeitung

Herman van Veens Konzerte als Ode an die Erinnerung


Von Wolfgang Hirsch

Weimar, (tlz)

Zusammen mit dem Mantangi-Quartett spielt Herman van Veen in drei Konzerten seine neue DVD "Unter einem Hut - Live in Weimar" ein, auf der auch ältere Titel enthalten sein werden. Die TLZ, die diese Veranstaltungen in der Weimarhalle präsentiert, sprach mit dem niederländischen Sänger, der heute ein Klassiker unter den internationalen Liedermachern ist.

Sind Sie nicht zu Jung, um schon künstlerische Bilanz zu ziehen?

Ich bin 57. In einem Monat werde ich sogar 58. Es ist kaum zu fassen, aber der Rasierspiegel beweist, dass es so ist. Obwohl der Typ in dieser Figur, so glaube ich, sich seit seinem sechsten Lebensjahr nicht verändert hat. Nur die Hülle beweist, dass etwas Zeit vergangen ist.

Und mit den Weimarer Konzerten halten Sie Rückschau?

Nein, es hat eher etwas mit dem mir neuen Phänomen DVD zu tun. Ich habe bisher nie so etwas wie "Best of" gemacht. Die Idee ist entstanden, als wir zum letzten Mal in Weimar waren. Das hat o mich an mein erstes Konzert hier erinnert, als die Mauer noch stand. Damals warteten schon nachmittags Hunderte Menschen vor der Halle. Das ' hat mich berührt. Und abends um Acht ging ich in den Saal, der mit 800 Leuten voll war, und draußen standen immer noch 3000. Ich fand das sehr merkwürdig. Da haben wir Türen und Fenster aufge macht und das Konzert in einem Theater gespielt, das eigentlich keines mehr war -eher so etwas wie ein modernes Parkhaus: Alles war offen. Meine Konzerte jetzt sind also so etwas wie eine Ode an eine Erinnerung. Immer wenn ich an die DDR denke, denke ich an Weimar. So direkt ist das. Wie wenn man sich an ein Mädchen erinnert, immer an das allererste denkt. Oder wenn ich an meine Geige denke, ich mich an die Sommersprossen auf dem Arm meiner Geigenlehrerin erinnere. 'Das vergesse ich nie.

Wie sehr prägt Sie dieses Sich-Erinnern?

Ich bin mit der Vergangenheit nicht beschäftigt. Aber ich erinnere mich an manche Dinge, die mir helfen, das, was mich ausmacht, zu verstehen. Etwa wenn ich an meine Eltern denke oder in den Spiegel sehe und finde: Ah, jetzt ähnele ich doch sehr meinem Opa. Das ist wie eine echoartige Struktur, die gleichzeitig nach vorn weist und zurück. Offenbar liegt das in der Familie. Als der Bosnien-Krieg anfing, hatte mein Vater große Ängste, weil er sich an den Weltkrieg erinnerte.

Spielt es auch für Ihre Konzerte eine Rolle, dass wir wahrscheinlich wieder am Vorabend eines Krieges stehen?

Ja, natürlich, das spielt eine gigantische Rolle. Ich hatte im Herbst eine Amerika-Tournee vor. Aber ich kann es mir ethisch nicht leisten, dorthin zu gehen und zu singen, als ob nichts wäre. Das geht nicht. Ich verstehe diese Entscheidung nicht als politi schen Akt, sondern als eine ganz persönliche.

Wie wirkt sich das im Programm aus?

Ja. Ich bemerke, dass ich ständig eine neue Programmfolge mache, weil ich ja mit der Realität konfrontiert werde. Alles was ich mache, hat damit zu tun. Weil ich nicht eine klassische Kunst reproduziere, sondern es immer auf meine Art und Weise sagen muss.

Im Album "Für Elise" haben Sie zuletzt aber auch mit klassischem Repertoire experimentiert?


Weil ich beweisen wollte, dass es ohne Dissonanzen nicht geht. Es gibt keine Harmonie ohne Dissonanzen. Das Leben sehe ich als eine Wanderung auf sehr schmalem Weg: Links ist der finstere Wald, rechts gibt es Abgründe, aber auch Berge und schöne Aussichten. Worum es geht, ist, bei dir selbst zu bleiben, auf diesem Weg, und ein Gleichgewicht zu finden zwischen Tag und Nacht.

Was bewirkt ein Clown, ein Sänger in dieser Welt?

Der kann vielleicht für eine Person einen Unterschied machen: für sich und für den, der es hören will. Was ich bewirken kann, ist, dass jemand das Haus verlässt und den Mantel vergisst. Ich singe auf der Bühne meine Lieder und erzähle Geschichten. Vielleicht macht das ja etwas aus, für einen unter Tausenden ...

Weimarhalle, heute und morgen, jeweils 20 Uhr. Eintrittskarten an der Abendkasse.