Marschall schrieb am 12.01.2002 in der Lausitzer Rundschau

Herman van Veen tauchte die Lausitzer in ein Wechselbad der Gefühle

Narr und Poet



Ist er ein Clown, ein Vagabund, ein weiser Narr, Kindskopf, Bänkelsänger oder sanfter Poet? Ein singender Geiger oder ein geigender Sänger? Herman van Veen lässt sich nicht festlegen. Lachen gehört zum Weinen, der Tod zum Leben, Glück und Leid, Liebe und Hass sind oft dicht beieinander. Weil das Leben nun mal so ist und nicht anders, taucht er sein Publikum in ein Wechselbad der Gefühle. Das ist Donnerstagabend in der Cottbuser Stadthalle durchaus darauf gefasst. Schließlich ist das niederländische Multitalent nicht zum ersten Mal in der Lausitz. Was Herman van Veen mit den Worten kommentiert: Warum., so fragte mich meine Frau, fährst du schon wieder nach Cottbus, du warst doch schon zweimal dort? Wenn das so weitergeht, lass ich mich scheiden! Sie wird mir fehlen.

Wer flüstern kann wie kein anderer, sanft den Kleinen Schatz mit seiner Stimme wiegt, aus dem, fast. unmerklich für ihn, eine erwachsene Frau geworden ist, die ihm einen Enkel schenkte, kann auch mal den Macho raushängen lassen. Seine exzellenten Musikerinnen revanchieren sich, lassen ihn stehen wie einen Deppen klagt er, während sie Geige und Gitarre die zartesten Töne entlocken und selbst so schellen Instrumenten wie einem galizischen Dudelsack oder einer mittelalterlichen Drehleier. Ja, sie können sogar singen. Wäre da nicht van Veen, hätte man sich sorgen müssen, dass sie ihm die Show stehlen.

Er aber lässt sie sich entfalten, wie er überhaupt der Musik weitaus mehr Raum in seinem Programm lässt als noch vor Jahren. Musik könne oft sehr viel klarer sein, als Worte, bekannte er im RUNDSCHAU- Gespräch. Und so greift er auch selbst jetzt wieder mehr zur Geige als noch vor Jahren, imitiert die Pan?Flöte, trommelt mit bloßen Händen. Die Wahrheit ist viel besser zu ertragen. wenn sie klingt, weiß er zu singen. Das bedeutet keineswegs, dass er die Texte vernachlässigt. Was da zu hören ist, ist taufrisch, zumeist noch auf keiner seiner bislang 115 in fünf Sprache aufgenommenen CDs zu finden. Er betrachtet das Leben als eine ablaufende Angelegenheit, ruft der Magersüchtigen zu: Mensch Hannah, komm zurück, singt all jenen ein Lied, die noch eine Mutter haben: Sprich Mit, mir, denn deine Wahrheit ist ein Teil voll mit. Da trifft sich Melancholie mit Heiterkeit, gleitet er ins Spielerische, wird zum Clown. Etwa, wenn er in eine fremde Haut schlüpft, es Sternenstaub regnen lässt oder er einen ausgeleierten Slip hervorzaubert, Größe XXL. Gewohnheitsbedürftig freilich, wenn ei mit dem über den Kopf gezogenen Männerslip leise Lieder singt, Sätze sagt wie dieses: Es würde weniger Böses getan werden, wenn nicht das Böse im Namen des Guten getan würde. Und schon ist er wieder am Geschichtenerzählen. Köstlich, seine Schilderung, wie 20 Männer und ein achtjähriges Würstchen namens Herman aus nackter Brust im Badehaus sangen. Seine Lieder sind nicht Fingerabdrücke des eigenen Lebens, sie sind aber auch nicht Fiktion. Ich hin immer das Echo auf etwas. was wirklicher ist als ich.

Allgegenwärtig: Sein unglaubliches Gespür für Stimmungen, seine Fähigkeit, die Dinge des Lehens so zu beschreiben, dass sie jeder versteht und sich persönlich angesprochen fühlt. Und so ist es auch nach der fünften Zugabe. Da hat er schon in seiner Muttersprache für die sieben Landsleute, die im Saal sitzen sollen, gesungen. Und ein Lied für die Unentschiedenen, über all das Versäumte, nicht Ausgeträumte: Möglicherweise ein Walzer, möglicherweise ein Blues. Und doch wollen die Leute den Liedermacher einfach nicht ziehen lassen. Für solche Gelegenheiten hat er das Letzte Lied gemacht. Ich singe es für dich, sagt er schlicht; Du weißt schon, wer damit gemeint ist.