Herman van Veen
SH am Sonntag
Warten
31 juli 2011

Bin auf einem Flughafen. / Sitze in der Ankunftshalle und warte auf meinen ältesten Sohn. / Sein Flug- zeug hat etwas Verspätung. / Das ist für mich kein Problem, weil ich es interessant finde, / in aller Ruhe die wartende Menge zu beobachten / und mich zu fragen, wer wohl auf wen wartet. / Ich schließe dann Wetten mit mir selbst ab. / Die Dame beispielsweise / in dem nichts verhüllenden, äußerst gewagt ausgeschnittenem T-Shirt, das ein großes rotes Herz auf Vorder- und Ruckseite hat, / in dem für vermutlich sehr viele Menschen etwas zu kurzen Rock / und mit Beinen, die kein Ende zu haben scheinen, / ihre Füße auf verblüffend hohen Hacken, /aufgestecktes rotes Haar, / ihre Augen hinter dunklen Gläsern verborgen. / Wie kurz mag sie wohl vor dem Spiegel gesessen haben? / Sie läuft unruhig hin und her. / Schaut unentwegt auf ihre Armbanduhr, / klappt ihr Handy auf und zu.

Auf wen wartet sie? / Ich gebe mir selbst drei Auswahlmöglichkeiten: / ein Geliebter für ein amouröses Treffen / in einem abgelegenen, teuren Hotel. / Warum denke ich das? Ist es ihre Ruhelosigkeit? / Vielleicht wartet sie auch auf ihren Mann. / Das jedoch glaube ich nicht. / Ich denke eher, dass sie wieder Single ist./Vater? Mutter?/Auf die Tochter vielleicht, die von einem Internat in Genf/fürdie Ferien nach Hause kommt? / Das wäre eine Auswahl zu viel. / Ich tippeauf den Liebhaber. /Wenn ich Recht habe, / verspreche ich mir selbst die neue CD von Kate Bush. / Liege ich daneben, fällt das eben aus

Ich probiere mich selbst zu überzeugen. / Meine Augenweide-Auswahl scheint / nicht völlig ohne Bewunderer zu sein. / Sie wartet doch nicht etwa auf mich? / Oder hat sie gar eine Verabredung mit meinem ältesten Sohn?

Glastüren rauschen auf. / Ein Pulk bepackter und besackter Menschen strömt in die Ankunftshalle. / Es wird umarmt, Hände geschüttelt gelacht, auf Schultern geschlagen / jemand wischt sich ein Tränchen weg. / Ein Mann sucht mit seinen Augen die Halle ab. / Leichte Sommerkluft, rosa Oberhemd, funkelnde Italienische Schuhe, / Koffer für eine Nacht. / Das ist er, denke ich.

Er zögert, steuert dann zielbewusst die Autovermietung an. / Also doch nicht...

Meine Auswahl schlendert noch immer unaufhörlich hin und her. / Erneut rauschen die Glastüren auf. / Eine Bodenstewardess rollt einen holprigen Gepäckwagen heran, / worauf ein Käfig steht. / Im Käfig sitzt ein tintenschwarz getrimmter Pudel / mit rotem Halsband. / Er beginnt hoch und laut zu bellen, / als er sein Frauchen erschnüffelt.

Kate Bush muss halt noch ein wenig warten.



Herman van Veen (66) ist niederländischer Musiker, Entertainer und Unicef-Botschafter.
Seine Sonntags-Gedanken schreibt er exklusiv für Schleswig-Holstein am Sonntag.