Herman van Veen
SH am Sonntag
Der kleine Prinz
23 okt 2011

Vor dem Schlafengehen zappe ich mich nachts manchmal durch einige TV-Kanäle, um meine Gedanken nach der Show etwas abzulenken. Um meine Frau nicht zu wecken, stelle ich den Ton pianissimo.
Auf einem englischen Natursender sehe ich ein Planetensystem im Entstehen, das über einhundertfünfundsiebzig Lichtjahre von der Erde entfernt ist. Ein Planetensystem, das genug gefrorenes Wasser enthält, um Tausende von den Ozeanen der Erde zu füllen. Ich habe total nicht gewusst, dass es Eiskometen waren, die einst das Wasser auf die Erde brachten.

Auf einem französischen Sender ein Bericht über ein Musikstück rund um den kleinen Prinzen vom Schriftsteller und Piloten Antoine de Saint- Exupery.

In einem arabischen Sender Bilder vom standrechtlich abgeurteilten Muammaral-Gaddafi. Menschen tanzen in den Straßen von Tripolis. Gaddafi inszeniert einen Putsch gegen König Idris 1.1986, Menschen tanzen in den Straßen von Tripolis, weil die Amerikaner aufgehört haben, die Stadt zu bombardieren. 1993, Menschen tanzen in den Straßen von Tripolis, weil der militärische Anschlag auf Gaddafi gescheitert ist.
2011, Menschen tanzen in den Straßen von Tripolis, weil Gaddafi in einem Abwasserkanal niedergeschossen wurde.
Mit diesen Bildern im Kopf bin ich den Schlaf gefallen. Traum; Sitze fernsehend in einem Hotel auf einer Couch. Durch das offene Fenster kracht ein Meteor in mein Zimmer. Es scheint ein Eisklumpen zu sein. In dem Eis sitzt eingeschlossen in einer fötalen Haltung der kleine Prinz. Ich gehe rasch ins Badezimmer, hole einen Haarfön, taue das Eis auf, setze den zitternden kleinen Prinzen auf ein Beistelltischlein, trockne ihn ab, ziehe ihm mein T-Shirt über. Kurz darauf hocken wir gemütlich und schön warm auf der Couch und schauen die oben beschriebenen Bilder von den in den Straßen von Tripolis tanzenden Menschen an. Der kleine Prinztraut sichtbar seinen Augen nicht. Er bittet, den Fernseher auszuschalten und bringt mich dann, so wie es meine Mutter immer getan hatte, ins Bett. Erzählt mir eine Geschichte über etwas, an das ich mich nicht mehr erinnere, tanzt in der Türöffnung wie die Menschen in den Straßen von Tripolis mit Wasser in seinen Augen. Er weint so viel, dass er gefriert und als Eisklumpen durch das Fenster zurück in den Weltraum fliegt.
Wonderlijk.



Herman van Veen (66) ist niederländischer Musiker, Entertainer und Unicef-Botschafter.
Seine Sonntags-Gedanken schreibt er exklusiv für Schleswig-Holstein am Sonntag.