Herman van Veen
SH am Sonntag
Das ist doch Sünde
16 okt 2011

Als Kind trug ich die zu heiß gewaschenen Pullover meines Vaters, der sie wiederum von seinem Vater hatte. Wuchs ich aus den Sachen raus, dann wurden diese Kleidungsstücke beispielsweise als Wollunterhemden verwertet. Es gab in jenen Tagen ja noch keine Heizung im Haus, Ärmel wurden zu Topflappen und die Teile, die noch übrig blieben, wurden zum Beispiel Eierwärmer. Selbst die Löcher im Pulli hatten einen Zweck: Sie wurden ganz praktisch als Knopflöcher verwendet. Der Wohlstand veränderte den Gebrauch von Dingen. Es war, sehr zum Ärger meiner Mutter, nicht mehr nötig, alte Büstenhalter zu Teewärmern umzuwandeln.

Aber schau: Die Welt wandelt sich. Wir stehen am Vorabend einer möglichen neuen Knappheit. Ich lese in der heutigen Zeitung:
„Weil die Rohstoffe stetig weniger
werden, dringt immer stärker die Erkenntnis durch, dass wir unseren Abfall auch als Rohstoff erkennen müssen. Dies erfordert kluge Konzepte und Innovation." Es geht also darum, so viel wie möglich von unseren Ressourcen so unendlich oft wie möglich zu verwenden, so dass Abfälle wieder also wertvoll werden wie der jungfräuliche Rohstoff, mit dem man einst begonnen hat. Sie nennen das Kreislaufwirtschaft. Meine Mutter würde staunen. Sie würde nun als Kreislaufwirtschafterin ein Ansehen haben. Mit Glas und Papier kommen die Leute sicher lange hin. Papier kann mindestens sieben Mal wiederverwendetwerden. Teppichfabrikanten arbeiten schon weitgehend nach diesem Prinzip.

Meine verstorbene Mutter liest, während ich dies schreibe, über meiner Schulter mit und nickt zustimmend.



Herman van Veen (66) ist niederländischer Musiker, Entertainer und Unicef-Botschafter.
Seine Sonntags-Gedanken schreibt er exklusiv für Schleswig-Holstein am Sonntag.