Herman van Veen
SH am Sonntag

Winde


16 jan. 2011

Als wir damals das Wartezimmer des Krankenhauses betraten, saß uns gegenüber eine betagte Frau, nicht viel älter als meine Mutter.
Sie blätterte in der Libelle und hielt ab und an inne, um einen Pups zu lassen. Meine Mutter und ich trauten unseren Ohren nicht. Die kleine Dame gegenüber störte das gar nicht. Für sie war das scheinbar die normalste Sache der Welt. Sie las weiter, so als wenn ihr über- haupt nichts entwichen wäre. Wir konnten nicht mehr. Nach jedem Pups bogen wir uns vor Lachen, meiner Mutter liefen Tränen über die Wangen. „Frau van Leeuwen", sagte die Arzthelferin, „kommen Sie bitte!". Das Frauchen stand auf und verschwand im Sprechzimmer des Darmdoktors, so wie meine Mutter den Gastroenterologen nannte.
Zehn Minuten später kam sie wieder heraus, trippelte zum Lift und ließ, bevor sie durch die Schiebetüren verschwand, zum Abschied noch einen verblüffend langen...

Ich lachte mich schlapp. „Frau van Veen?" Meine Mutter erhob sich, trocknete ihre Augen mit einem tadellos gebügelten Taschentuch, strich ihren Rockzurecht und lief vor der Arzthelferin ins Zimmer des Spezialisten, während ich noch ein Weilchen nachgluckste.

Eine halbe Stunde später kam Mama wieder heraus.
„Und?", fragte ich.
„Schrecklich, ist nix so eine Untersuchung."
Kaum hatte sie es ausgesprochen, ließ sie einen eindrucksvollen Pups. Meine Mutter schaute giftig zu mir und schnauzte mich an:

„Wag' es dir ja nicht, zu lachen!"



Herman van Veen (65) ist niederländischer Musiker, Entertainer und Unicef-Botschafter.
Seine Sonntags-Gedanken schreibt er exklusiv für Schleswig-Holstein am Sonntag.