Stephan Reinhardt schreef 11 november 1999 in de Sueddeutsche Zeitung

Singen, bis der Papst Kondome verteilt

Ein Konzert für Menschen, die an das Bessere in der Welt glauben



Er singt immer noch im Konjunktiv. Wenn Herman van Veen König wäre, dann würde der Straßenkehrer, der bei Wind und Wetter unseren Müll wegfegt, in seinem Reich ganz oben stehen. Und die Altenpflegerin. Und der, der "vollkommen wehrlos lieben kann". Der holländische Sänger-Clown, dessen Welt-Tournee ihn zusammen mit dem Rosenberg-Trio, Edith Leerkes (Gitarre) und Thomas Dirks (Bass) am Dienstagabend nach München in den Herkulessaal führte, hat noch immer ein "zärtliches Gefühl" für eine bessere Welt.
Kein Krieg, singt er, wird sein Lied zum Verstummen bringen können. Und wenn er in seinen Chansons von verfolgten Zauberern, von Clowns und von magersüchtigen Mädchen singt, dann scheint diese Welt tatsächlich - zumindest für die Dauer des Konzerts - veränderbar. Wenn Hanna zu Tode betrübt ist, setzt sich van Veen auf einen Holzkasten und erzählt ihr, ganz der Märchenonkel, von der Musik Mozarts und Schuberts, von den Farben, die Gott geschaffen hat - und alles Leid wandelt sich in Glück. Oder zumindest in schönes Leid. So leicht. So schön.

Ist das kitschig? Nein. Denn van Veen überlässt die Metamorphosen seinen exzellenten Begleitmusikerinnen. Den Improvisationen von Edith Leerkes, Jann (Violine) und Stochelo Rosenberg (Gitarre) gibt man sich ganz hin, und alle Tristesse ist mit einem mal schaurig-traurig schön.

Aber Herman van Veen setzt auch Dämpfer in alle Weltverbesserungsschönheit, wenn er angesichts aller Einsicht in den Zustand der Welt und unserer darob seltsam anmutenden Zögerlichkeit fragt: "Worauf warten wir?" Seine Kunst besteht auch darin, keine Ausrufezeichen, sondern vielmehr Farbtupfer zu setzen und gerade noch den Absprung vor zuviel Rührseligkeit zu schaffen. In solchen Momenten erzählt oder singt er von wirklichen, sehr greifbaren Problemen des Lebens - etwa dem sich entwickelnden Busen eines jungen Mädchens, von dem niemand weiß, welche Gestalt er einmal annehmen wird: ob groß, ob klein, ob spitz, ob rund?

Gegen Ende allerdings, wenn van Veen längst alle zahlreich erschienenen Jünger verzaubert hat, und sie ihm willig in ein "bess'res Land" zu folgen bereit sind, nimmt das Konzert mit einem mal den Charakter eines Jugendgottesdienstes am Samstagabend ("Danke") an. So sehr schrabben die Gitarren, rasselt das Holz, säuselt der Background-Chor. Dazu passen dann auch die selbst gestrickten und mit Rautenmustern versehenen Pullis - nur noch bei solchen Gelegenheiten überhaupt zu sehen -, die sich entlang des Parketts nach vorne zur Bühne schleichen, um den Patenonkel ihrer 70er-Jahre-Jugend mit standing ovations zu feiern.

Und niemand will nach Hause gehen - wie so oft bei Konzerten von Herman van Veen. Er ging nach über zwei Stunden (ohne Pause) als erster aus dem Saal, und alle, alle folgten wir ihm. Was bleibt? Zum einen die Hoffnung, dass der Mann, von dem der Entertainer berichtete, dass er solange unter der Brücke singen wolle, bis der Papst Kondome verteile, Herman van Veen selber ist. Zum anderen aber ein schöner Abend, den allein noch ein schläfriger Kellner im Tambosi trüben konnte.



Stephan Reinhardt


terug naar de index