Herman van Veen
SH am Sonntag
Fußstapfen im Schnee
11-12-2011

Im Garten, so weiß und still, hört man nur das Knirschen meiner Stiefel auf dem gefrorenen Schnee. Als Kinder liefen wir manchmal rückwärts in unseren eigenen Fußstapfen zurück. Dann schien es, - für den, der das sehen wollte - als ob wir uns in Luft aufgelöst hätten. Nun, da ich das aufschreibe, erinnere ich mich an ein Wintermärchen:

Eine Mutter hatte ein Söhnchen. Der kleine Kerl wurde krank und Gott nahm ihn zu sich. Die Mutter war untröstlich, wodurch der Knabe nicht die Ruhe fand, die man aber braucht, um tot sein. Also erschien er überall dort, wo seine Mutter traurig war und dann weinte er mit ihr. Die Mutter konnte einfach nicht mehr aufhören, die Tränen waren zu übermächtig.
Eines Nachts ging der Junge wieder zu seiner Mutter, setzte sich an das Fußende ihres Bettes und sagte: „Liebe Mama, hör' doch bitte auf zu weinen. Schau doch, mein weißes Totenhemdchen wird gar nicht mehr trocken von all den Tränen, die darauf tropfen. Ich werde mich noch erkälten und sterbe noch einmal. Diesmal womöglich an einer Lungenentzündung." Die Mutter erschrak, als sie das hörte. Zweimal tot? Sie hörte auf zu weinen. Das Totenhemdchen ihres Jungen trocknete danach schnell und die Mutter legte ihre Traurigkeit nun in Gottes Hände. Nicht lange danach verschwand der Knabe wie Schnee in der Sonne. So, wie einst unsere Fußstapfen im Schnee.



Herman van Veen (66) ist niederländischer Musiker, Entertainer und Unicef-Botschafter.
Seine Sonntags-Gedanken schreibt er exklusiv für Schleswig-Holstein am Sonntag.