Herman van Veen
SH am Sonntag
Zärtliches Gefühl
11 sept 2011

Auf der kleinen Zeichnung in der Zeitung von meinem Freund Sjaak sehe ich ein Männlein und ein Weiblein an einem Tisch sitzen. Der Mann sagt: „Ich bin glücklich, aber ich kann es nicht einordnen." Die Frau antwortet: „Laut den Tests bin ich depressiv und wusste es nicht." Das erinnert mich an die ältere Dame, die gestern Abend nach unserer Vorstellung 'Une infinie tendresse' in Brüssel nach hinten kam und sagte: „Ich fand sie prächtig, die Dinge die Sie sangen, Ihre.... an...., wie heißen doch gleich die Dinge?" „Lieder?", fragte ich. „Ja, diese Lieder, ich kam nicht auf das Wort."

Der Flämische Dichter Erwin Mortier nennt Alzheimer in einem Interview über seine Mutter "die feigeste und hinterhältigste Krankheit,die es gibt. Das erwürgende Hängen zwischen Leben und Tod." "Es ist total schrecklich", sagt er, "zu sehen, wie die Mutter unentwegt in ihren Worten und Sätzen feststeckt." Man kämpft dann auch mit seiner eigenen Wut, worauf man sich dann schuldig fühlt. Es gibt nichts Liebenswertes an der Krankheit, es gibt kein Erbarmen, es gibt allein nur Schmerz, Leid, Wut, Schuld, Taubheit.

Nächste Woche Montag spielen Edith und ich in einem Heim für Menschen mit Alzheimer, die dort ihre letzten Tage fristen. Wir werden für Menschen singen, von denen wir absolut nicht wissen, -so eingesperrt, wie sie in ihrem Körper sind- wie sie die Krankheit selbst erleben. Es ist ein Ausloten, ohne zu wissen, man kann lediglich nur vermuten.Wir werden singen und mit den Grenzen unseres eigenen Bewusstseins konfrontiert werden.



Herman van Veen (66) ist niederländischer Musiker, Entertainer und Unicef-Botschafter.
Seine Sonntags-Gedanken schreibt er exklusiv für Schleswig-Holstein am Sonntag.