André Hesel schrieb am 11.05.01 im Weser Kurier

Märchenschlösser aus unsichtbarem Lehm



Herman van Veen berauschte in der Glocke wieder einmal sein Bremer Publikum


Herman van Veen eilt durch die Stadt und singt. „Da weg, da weg, da weg" - und immer mehr Leute schließen sich dem lustigen Mann mit der lustigen Frisur an, selbst als der den Weg über eine Spielplatzrutsche wählt. Seltsam, wie präsent Erinnerungen an kindliches Fernsehgucken sein können: Sesamstraße und Pan Tau sind schon verblasst gegen die weiße Mühle inmitten der Stadt, in der „Die seltsamen Abenteuer des Herman van Veen" geschahen. Seltsam ist es erst, den 56-Jährigen live auf einer Bühne zu erleben und schon vorher zu wissen, dass er einen wieder tief berühren wird. Ja, was soll man über Herman van Veen noch schreiben, als dass er eben diese besondere Gabe hat?

Drei Abende gibt der Weltbürger aus Holland in der Bremer Glocke, drei Konzerte, in denen sich der ganz in Schwarz gekleidete Musiker, Schauspieler, Clown und Poet schon vor dem ersten Takt mit ausgebreiteten Armen gegen den endlosen Applaus lehnt und mit den Liedzeilen „Die Wahrheit ist viel besser zu ertragen, wenn sie klingt " auch in Worte fasst, warum er und sein Publikum sich seit über 30 Jahren an Orten wie diesem begegnen - und nicht erst seit dem Tod seiner Eltern im vergangenen Jahr. Van Veen singt und erzählt authentisch wie kaum ein anderer über die großen kleinen Wahrheiten. Ob er uns in einem wütenden „Kyrie Eleison" ein Stakkato vergessener Leiden und verlorener Träume um die Ohren haut oder über einen glücklosen, alternden Engel singt, den niemand mehr braucht. Man muss nicht erst gegen Zaunpfähle laufen, um zu begreifen, dass solche Lieder zusammengehören.

So ist die zweieinhalbstündige Show auch ein Gesamtereignis mit einer Choreografie, die so schlicht und perfekt ist, dass man sie „nicht sieht". Die sieben Musikerinnen und Musiker sind ständig in Bewegung und alles andere als reine Begleiter. Bis auf den Pianisten Erik van der Wurff, der seit fast 40 Jahren mit van Veen arbeitet, hat der Niederländer junge Leute an seiner Seite. Schon etwas länger dabei sind die Gitarristin Edith Leerkes, die Geigerin Maria-Paula Majoor und die Multiinstrumentalistin Wiebke Garcia, die neben der Percussion auch eine Drehleier, die keltische Harfe und einen Dudelsack einbringt. Kontrabassist Thomas Dirks sowie die Geigerin und Jazzsängerin Jann gehören seit drei Jahren zur Band. Mit dieser akustischen Besetzung präsentiert van Veen vor allem neue Lieder: Viele Stücke stammen aus dem Album „Deine Küsse sind süßer", das er mit dem grandiosen Gypsy-Swing-Ensemble „Rosenberg Trio'' einspielte und seiner jüngsten CD „Carre 2000", die bislang nur in niederländischer Sprache erschien.

Auf der Bühne ist van Veen ein Phänomen- Der feinsinnige Poet und weise Charmeur, der ergreifende Sänger und wasserspritzende Bürgerschreck für die ersten vier Reihen, der ermutigende Humanist und urkomische Calypso-Tänzer oder der verstörende Blusengrapscher, der die Band zum Meutern und den Kiefer des Zuschauers zum Herunterklappen bringt, ohne dass der weiß, ob dies zum Lachen oder Staunen geschieht. Dem Charisma van Veens, der so ergreifend Brels „Ne me quitte pas" in der „ermordeten Sprache" Jiddisch singt, entzieht sich nur der, der nicht hingeht. Und selbst für ihn, den einsamen „Teufelskerl", hat van Veen noch eine Liebkosung parat, die auch den Künstler selbst am besten beschreibt: „Aus unsichtbarem Lehm kannst du uns Märchenschlösser kneten." Oder weiße Mühlen inmitten der Stadt.



André Hesel





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