Herman van Veen
SH am Sonntag
Glauben Sie mir
28 feb 2010

In der Lobby des stattlichen süddeutschen Hotels warten in komfortablen Stühlen einige Damen auf mögliche Kundschaft. Wie alt sie sind, ist nicht zu erraten. Jede Zahl zwischen 30 und 60 könnte stimmen. „Glauben Sie mir, die sind teuer." erzählte mir derTaxifahrer noch gerade eben.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Frau, zu der ich jetzt schaue, eine Hure sein soll, Sie trägt ein dunkles Kostüm, darunter eine leichte weiße Bluse, hohe Absätze, die Beine in durchsichtiges Schwarz gesteckt, ihr Rock ist vielleicht etwas zu kurz. Sie schlägt ihre Beine ewig langsam übereinander, beugt sich vornüber, um etwas aus einem Schälchen zu nehmen. Kurz sehe ich die Wölbung ihrer Brüste. Als sie sich aufrichtet, sieht sie mich an und lächelt. Dann fegt sie mit ihrem kleinen Finger ein freches Löckchen aus ihrer Stirn, nimmt das Handy aus ihremTäschchen und beginnt mit jemandem zu sprechen, der dafür sorgt, dass ihr wunderschönes Gesicht ernsthaft schaut.

Ein Mann kommt durch die Drehtür in die Lobby, sucht mit den Augen, läuft vergebens eine Runde, fragt die Frau im Kostüm gestikulierend, ob der Stuhl neben ihr noch frei sei. Sie nickt. Er setzt sich. Die Frau klappt das Handy zu, der Mann spricht sie leise an. Ich kann nicht hören, was sie sagen. Verhandeln sie? Nimmt er sie irgendwohin mit oder bleiben sie im Hotel? Sie lachen.

Durch die Drehtür kommt jetzt ein Mädchen mit einem Rucksack auf den Schultern. In ihrer fröhlichen roten Jacke hüpft sie der Frau entgegen. „Mama','sagt sie und danach etwas Unverständliches. Die Frau steht auf, nickt dem Mann zu, zieht ihren Mantel an und geht Hand in Hand mit ihrerTochter aus dem Hotel.


Ich kann es nicht erklären, aber etwas in mir ist erleichtert.



Herman van Veen (64) ist niederländischer Musiker, Entertainer und Unicef-Botschafter.
Seine Sonntags-Gedanken schreibt er exklusiv für Schleswig-Holstein am Sonntag.