Herman van Veen
SH am Sonntag

Vater


26 dec.2010

In der Küche steht ein großer, / noch nicht aufgetakelter Tannenbaum / auf einem Kreuz aus Apfelsinenkistenholz. / Gerade eben geschlagen, / er verliert noch keine Nadeln. / Heute Abend werden wir ihn mit lauter weißen / und silbernen Christbaumkugeln putzen / und mit einer Spitze aus durchsichtigem Glas, / die gerade so nicht die Decke berühren wird.

Als Kind fand ich es auch schon prächtig, / so einen echten Baum im Wohnzimmer zu haben, / voller Weihnachtsfigürchen und brennbarem Engelshaar. / Schokoladen- weihnachtskränzchen, /gedrehte, echte Kerzen in so Kerzenhaltern, / Flammen, die sich in den Weihnachtskugeln spiegeln, / konnte ich mit offenem Mund bestaunen.

Denke an meinen Vater./Gemeinsam fuhren wir jedes Kinderjahr / mit dem Fahrrad zum Weihnachtsbaummarkt / auf den Janskerhof in Utrecht, / um einen Baum zu kaufen. / Mein Vater tat dies mit Sorgfalt. / Er nahm mit den Augen Maß, / rüttelte am Baum, / prüfte den Wuchs. / „Ein guter Weihnachtsbaum ist wie eine schlanke Pyramide." / Hatte er einen nach seinem Geschmack gefunden, / wurde der Baum wie eine Wurst in Strick eingebunden / und vorsichtig auf das Fahrrad gelegt, / das Kreuz auf den Gepäckträger, / und dann liefen wir stolz / mit unserem Baumbesitz / vom Markt nach Hause, / Daheim hatte meine Mutter/wegen eventuell abfallender Nadeln / auf dem Weg zum Wohnzimmer Zeitungen ausgelegt. / Meine Schwestern und ich durften die Verzierungen reichen, / während mein Vater auf einem Küchenhocker / vorsichtig die zerbrechlichen Sächelchen an den Baum hängte. / Nachdem alles fertig war, / gingen die Kerzen an, / und der Baum bekam Applaus. / Wir setzten uns an den Tisch. / Erbsensuppe mit Herma-Wurst-Scheib- chen, / Vater ein junges Schnäpschen, /wir Brauselimonade, / Mutter einen Kräuterbitter. / Und ein Stündchen später / erzählte mein Vater immer wieder / von Weihnachten im Krieg, / als es noch kein Friede auf Erden gab. / Ich schaue zum Baum in glücklicher Traurigkeit, / denn an Tagen wie heute / vermisse ich vor allem / die Stimme meines Vaters.



Herman van Veen (65) ist niederländischer Musiker, Entertainer und Unicef-Botschafter.
Seine Sonntags-Gedanken schreibt er exklusiv für Schleswig-Holstein am Sonntag.