Neuen Westf.-Bielefeld
MARIA FRICKENSTEIN

Herman van Veen mit neuen Programm in der Bielefelder Stadthalle

26 april 2010

Bielefeld. Seine Lieder bezaubern, sind einfach, jedoch weder banal oder beliebig. Er ist ein Clown mit Tiefgang, ein unvergleichlicher Sänger und Musiker mit dem Spieltrieb eines Kindes. Das Staunen steht ihm gut und seine Poesie ist wie ein Gang durch frisch gefallenen Schnee, leise, sanft, zärtlich.


Im März feierte der Künstler seinen 65. Geburtstag und einen kräftigen Fußabdruck hinterlässt er. "Im Augenblick" erzählt aus seinem Leben, von Amsterdam, von Liebe, Heirat und Kindern, Vergessen und Tod, auch über die Moschee in Köln-Ehrenfeld. Van Veen verknüpft aufkommende Melancholie geschickt mit schönen Bildern, inszeniert kleine Tröster, mit zärtlicher Selbstironie schelmische Aufmunterer. Dann zieht er Sternenglimmer aus der Tasche, gleich noch eine Handvoll Sternenglanz und noch eine. Er berührt durch kleine Übertreibungen, versetzt das Normale um eine, wenn auch nur minimale Nuance. Er kennt die Kunst der Lücke, der Pause, des Innehaltens, um danach um so kraftvoller die Bühne zu beleben.
Mit Ping-Pong-Bällen spielt er, wirft sie und dann, als man an ein Ende glaubt, fällt unerwartet ein Regen dieser kleinen weißen Springbälle herab und vertreibt jeden Gedanken. Dann wieder tanzt er versunken als sei er allein, macht kleine Ballettstückchen oder reitet auf dem Kontrabass. Er tut Dinge, die sich Erwachsene verkneifen, Dinge, die sinnlos scheinen, die einen Augenblick wie mit einem Fingerschnipser lustvoll vertreiben.

"Wir hüpfen schon 45 Jahre zusammen", so van Veen über den Pianisten Erik van der Wurff, mit dem er Hand in Hand, wie zwei Freunde eben, spazieren geht oder gemeinsam in die Luft springt. Ihn kannte er schon, so van Veen, "als ich es auf meinem Schädel noch nicht schneien hörte." Der geborene Utrechter versteht das Spiel mit der Sprache, der Pantomime und den Facetten des Humors. Van der Wurff und er kannten sich schon, als der Krieg in Afghanistan noch Vietnamkrieg hieß und die Berliner Mauer noch zwischen zwei pinkelnden Hunden stand. Musikalisch ein Genuss ist das passionierte Ensemble, die drei spielenden und singenden Musikerinnern Edith Leerkes (Gitarre), Jannemien Cnossen (Geige) und Dorit Oitzinger (Geige).

Van Veens Erfolgsgeheimnis ist eng an seine Authentizität geknüpft und an die vielen künstlerischen Joker, die er auszuspielen weiß. "Spiel mit mir, tanz mit mir, schmus' mit mir", singt er die Verse aus der Feder seiner Tochter Anna. Van Veen spielt wie in frühen Tagen die Panflöte mit den Fingern, die Violine, die er am Utrechter Konservatorium neben dem Gesang studierte, eine Mundharmonika, Gitarre, Klavier und schlägt auch mal den Rhythmus ins Wasser, dass es spritzt. Er pfeift, trällert, ahmt selbstironisch das Ave-Maria seiner Jugendzeit in hoher Stimmlage nach, bis die Stimme abbricht.

Berührend singt er das "Schlaflied für Rosa", Rosa, die nicht mehr weiß, wer sie ist oder mit dem Ensemble das "Kyrie eleison" als eine dem Menschlichen zugewandte Huldigung. Witzchen, auch dafür ist van Veen zu haben. "Als sie 65 Jahre alt war, fuhr sie täglich zehn Kilometer mit dem Rad. Jetzt ist sie 97 und ich habe keine Ahnung, wo sie ist." Oder: Ein Paar ist 60 Jahre verheiratet und will sich scheiden lassen. "Warum erst jetzt?" fragt der Anwalt. "Wir haben gewartet, bis unsere Kinder tot sind." Eines seiner Schluss-Schluss-Schluss-Lieder "Ich hab' ein zärtliches Gefühl" singt Herman van Veen, das Lied, das ihn 1973 in Deutschland bekannt machte. Verse, die aus seiner Kehle klingen, als seien sie ein Klang des Augenblicks.



VON MARIA FRICKENSTEIN