Herman van Veen
SH am Sonntag
Spinnwebchen
23 mei 2010

Zwischen Stehlampe und Decke hat ein Spinnlein unbemerkt ein paar Sträßchen aus glänzenden Fäden gewebt. Fäden, die man nur dann sieht, wenn man die Glastür zum Flur in behutsamerweise öffnet. Nicht zu langsam, nicht zu schnell. Vielleicht etwas zögerlich, so, als ob man nicht mehr wüsste, ob man hinein- oder hinausgehen wollte. Das ist etwas, das mir übrigens immer öfter passiert. Schön, denn sonst hätte ich wohl die hauchdünnen Fädchen nicht gesehen. Sie zittern ein wenig. Das kommt daher, weil ich gerade die Zeichnung, die mein Enkelsohn von mir in der Schule gemacht hat, auf einen Bücherstapel gelegt habe.

Dadurch regte sich die Luft. Die Spinnwebchen sind verblüffend lang.
Die Decke ist sicher vier Meter hoch. Dass dasTierchen das alles in sich hat! Emsig klettert es hinauf und hinab, als ob es nicht wüsste, ^ warum es das tut.

„Wonach schaust du?" fragt meine Frau, die ihren Mann hochkonzentriert nach Nichts starren sieht. „Ich wüsste nicht, ob ich hinein- oder hinausgehen wollte, und dann sah ich die Spinnwebchen."



Herman van Veen (65) ist niederländischer Musiker, Entertainer und Unicef-Botschafter.
Seine Sonntags-Gedanken schreibt er exklusiv für Schleswig-Holstein am Sonntag.