Berliner Zeitung
Yulian Ide

Die unendlich hohen Gärten

Herman van Veen und seine Autobiograße in der niederländischen Botschaft

20 mei 2010

Ich werde eine Ente tot fahren und ihr Unsterblichkeit verleihen." Herman van Veen resümiert nüchtern, dass diese und noch Dutzende Lebensstationen mehr vor ihm lagen, als er kurz vor Kriegsende im niederländischen Utrecht geboren wurde. Neben ihm sitzt Edith Leerkes, die ihn auf der Gitarre begleitet. "Ein Mann mit offener Hose wird mir Schokolade anbieten und ich werde antworten .Ich mag Schokolade'. Ich werde mir von einer vornehm angezogenen Frau ein Marienbildchen schenken lassen und es mein ganzes Leben lang küssen. Ich werde Malaria bekommen und meine Tochter wird sich in einen Typen verlieben, der so alt ist wie ich."

Das alles konnte man im Vorhinein nicht erahnen. Genauso wenig große musikalische Erfolge wie "Ich hab ein zärtliches Gefühl" und "Warum bin ich so fröhlich", die er hier charmant unter den Tisch fallen lässt. Um "ein bisschen in seinem Gedächtnis zu blättern", hat van Veen all seine Anekdoten in einer Autobiografie zusammengefasst (auf Deutsch bei Aurbau erschienen). "Bevor ich es vergesse" steht auf dem Buchdeckel, es könnte auch das Motto des Abends sein.


Am Appendix der Welt


Die Gäste der niederländischen Botschaft erleben am Dienstag einen van Veen, der vor Energie nur so strotzt. Virtuos entlockt er Gitarre oder Geige die nachdenklichen Melodien, mit denen er seine kräftige Stimme begleitet. Sekunden später trällert er mit Chorknabenstimme das Ave Maria. Gerade als man denkt, der 65-jährige Liedermacher hole einen Stuhl, um sich kurz zu erholen, fährt er am Schlagzeug fulminant fort. Er schafft es, den Gästen ein Lächeln in die Gesichter zu zaubern, ohne in seichte Unterhaltung abzurutschen.

Sowohl der Botschafter Mamix Krop als auch die geladenen Gäste aus Politik und Kultur sind fasziniert. Es scheint schon längst nicht mehr bloß um eine Nacherzählung seines Lebens zu gehen. "Ich stand am äußersten Zipfel Südafrikas, dem Appendix der Welt sozusagen", sagt van Veen und versucht, seine Gäste mitzunehmen auf die Reise, "blickte raus, auf diese große Natur und merkte: Das Leben ist ok". Einige der Anwesenden werfen einen Blick durch das große Fenster auf die Spree, während Herman van Veen ein Lied aufAfrikaans anstimmt. Er wechselt in seinen Liedtexten zwischen Deutsch, Niederländisch, Französisch und Afrikaans wie ein Abenteurer, der aus seinem bewegten Leben erzählt. Dabei verliert er aber nicht seine Funktion als Mittler zwischen den Kulturen aus dem Auge, für die er bereits mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde. Die vertonten Gedichte der deutschen Jüdin Selma Meerbaum-Eisinger folgen genau wie die Episoden aus seiner Kindheit im Nachkriegsholland einem Motiv: Das Leben ist o.k.

Die Umstände sind oft miserabel, ja sogar "zum Kotzen" - es wird still, als van Veen diese Erkenntnis ganz sachlich ausspricht -, aber man solle doch das Gute nicht aus dem Auge verlieren. Den Schrebergarten seines Vaters zum Beispiel, der "zwar nur 80 mal 100 Meter breit, dafür aber endlos hoch ist". Langsam begreift man, woher die Zeichentrickente Alfred Jodocus Kwak ihren Optimismus bezieht. Was Herman van Veen anfängt, ist von einer subtilen Nachdenklichkeit durchzogen, ohne allzu melancholisch und sehnsüchtig zu sein.

Als "einen der bekanntesten Niederländer unserer Zeit" hatte der Botschafter ihn vorgestellt - und doch wirkt van Veen etwas verlegen angesichts des stürmenden Beifalls und der stehenden Ovationen, die ihm zuteil werden. Die Blumen, die ihm überreicht werden, beantwortet er mit einem zögerlichen "Ja" und tätschelt beim Verlassen des Raumes einigen Zuschauer die Schulter. Autobiografien liefern in den seltensten Fällen weltbewegende Erkenntnisse. Statt an diesem Anspruch zu verzweifeln, blickt Herman van Veen in "Bevor ich es vergesse" zurück und schenkt Lesern und Zuhörern sein zärtlichstes Gefühl: Das Leben ist o.k.



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