Leipziger Volkszeitung
Simone Liss
Kuscheln statt Cybersex 20 januari 2010

Leipzig. Er könnte sich zurücklehnen, durchatmen, zurückschauen. 45 Bühnenjahre hat Herman van Veen in den Knochen. Doch das Kind in ihm kommt nicht zur Ruhe. Ein Glücksfall für 1300 Konzertbesucher, die den Niederländer am Freitagabend in der ausverkauften Oper Leipzig erlebten – Tischtennisbälle werfend, Johny Walker trinkend, Striptease machend, Rosen zerpflückend.


Im Rampenlicht stand zwar der Clown van Veen, dahinter aber ein Mann, der älter geworden ist, dessen Lieder immer dichter, immer intensiver werden. Seine neue Langspielplatte, wie man in jener Zeit sagte, aus der van Veen stammt, heißt „Im Augenblick“. Und um nichts anderes geht es dem Liedermacher, der am 14. März 65 wird: Das Jetzt zelebrieren, in die Zukunft blicken und, ganz schlicht, zu leben. Bei Biermann, Wegner oder Mey klingt so etwas oft prätentiös. Nicht bei van Veen. Seine Stimme ist nicht die eines 64-Jährigen – kein Mann seines Alters singt wie er das „Ave Maria“. So hell, so rein.

Hermann van Veen war zu Gast in Leipzig. 1300 Besucher sahen sein Konzert in der Oper Leipzig. Seit 45 Jahren steht er bereits auf den Bühnen der Welt. Seine Stimme ist nicht die eines 64-Jährigen – kein Mann seines Alters singt wie er das „Ave Maria“. So hell, so rein. Auch seine Verse sind nicht altersmilde geworden. „So schön es früher war/ist es früher nie gewesen“, gibt er den Dauernörglern seiner Generation auf den Weg. Sein Entertainment ohne Zuckerguss- Idylle und seine Alternative zum bunten Musikkarussell kommen in Leipzig an. Mit Sprachwitz und Sinn für Wortspiele erzählt van Veen, was er nicht zu fassen vermag. Van Veen macht aus Nebensächlichkeiten, Gedankenfetzen, belanglosen Beobachtungen, der Unvollkommenheit eines Augenblicks emotionale Sensationen. Das Konzert ist ein leises, melancholisches Dahingleiten, aus dem Alltag hinaus, in den Alltag hinein 1of 4

Seine Verse sind nicht altersmilde. Seine Art zu denken nicht die eines Seniors. „Ich glaube nicht, dass ich je älter geworden bin als zwölf“, sagt van Veen. „So schön es früher war/ist es früher nie gewesen“, gibt er den Dauernörglern seiner Generation auf den Weg. Drastischer ist er geworden, schonungsloser. Auch im Song „Köln-Ehrenfeld“, in dem van Veen die hitzige Diskussion um die Zentralmoschee im Kölner Multikulti-Viertel in seine eigene Gedankenwelt überträgt: „Ob Allah oder Gott/ Jesus, Mohammed/man betet dasselbe Angstgebet.“ Das ist der aufrührerische, unbeugsame van Veen. Nicht die mobile Zirkuskirche. In Utrecht, seiner Heimatstadt, steht van Veen nach zahlreichen Morddrohungen unter Polizeischutz, seitdem er die holländische Freiheitspartei PPV des Rechtspopulisten Geert Wilders mit den Nazis verglich.

Sein Entertainment ohne Zuckerguss-Idylle und seine Alternative zum bunten Musikkarussell kommen in Leipzig an. Mit Sprachwitz und Sinn für Wortspiele erzählt van Veen, was er nicht zu fassen vermag: „Wie sagt man die Stille eines gebrauchten Teebeutels, beschreibt man einmal ausgezogene Unterwäsche, erzählt man den Geruch von Treibholz, zeigt, wie grün ihre Augen waren, macht man den letzten Atemzug sichtbar? Die Dinge, an die man sich am lebhaftesten erinnert, sind am schwersten zu beschreiben. Wie sagt man hinterher: Verzeih mir?“ Van Veen macht aus Nebensächlichkeiten, Gedankenfetzen, belanglosen Beobachtungen, der Unvollkommenheit eines Augenblicks emotionale Sensationen. Und gerade das macht die Nähe aus, die das Publikum spürt. Was noch? Gleichzeitigkeit. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft – alles zusammen.

Van Veen jongliert gekonnt mit Lachen und Nachdenklichkeit. Lustig-listig sind seine Überleitungen. Anrührend seine altmodische Art in Zeiten des Cybersex in „Bei mir“ von Sehnsucht und Kuscheln zu singen. Begleitet wird er dabei von seinem langjährigen Weggefährten Erik van der Wurff am Flügel, der barfüßigen Gitarristin Edith Leerkes, von Dorit Oitzinger und Jannemien Cnossen an der Geige. Das Publikum liegt ihnen stehend zu Füßen. Fünf Zugaben gibt van Veen. Doch bevor es heimelig wird, regnet es Tischtennisbälle.

Das Konzert ist ein leises, melancholisches Dahingleiten, aus dem Alltag hinaus, in den Alltag hinein. Herman van Veen spielt darin den Vater oder Großvater, den man selbst gerne hätte: Einen intelligenten, feinfühligen und aufmerksamen Beobachter, der sich zurücklehnt und durchatmet.