Freiepresse Chemnitz
Reinhold Lindner

So gut wie früher war es früher nie

17 mei 2010

Herman van Veen präsentiert sich mit seinem Programm "Im Augenblick" zwischen Scharfsinn und Selbstironie

Chemnitz. Wenn Herman van Veen von seinen Enkeln erzählt und nun schon jahrelang die Lieder seiner Tochter Anne singt, dann muss man schon dran glauben, dass er ins Alter gekommen ist. 65 ist der gute Herman im März geworden, nach seinem 60. war er das letzte Mal in Chemnitz gewesen und alle, fast alle von damals waren auch am Samstagabend wieder in der Stadthalle. Zumindest konnte man das denken, und jünger ist niemand geworden. Es ist ja inzwischen auch so, dass die Enkelgeneration dazu gekommen ist und mittendrin sitzt, größer geworden mit den Liedern Hermans, mit der Ente Alfred Judokus Kwak und der Frage: "Warum bin ich so fröhlich?"

Jedenfalls kommt er wie eh und je, ist Sänger mit ungebrochener kraftvoller Stimme, Dichter und Geiger, Harlekin, er akrobatisiert und tanzt. Der alte Herman van Veen. Wirklich? Nicht wirklich. Im Alter ist er nachdenklicher und poetischer noch als eh und je. "Im Augenblick", das Programm, mit dem er gegenwärtig durch Europa reist, wirkt bei aller Durchschlagskraft doch stiller, der Humor ist verhaltener geworden, oft klingt Melancholie an. Denn das heißt wohl auch: Halt ihn fest, den Augenblick, genieße ihn.

Und es sah ganz so aus, als wäre das Verständnis mit dem Publikum umso besinnlicher geworden, mehr so eine Sache des Dialogs von einem zum anderen. Der Dichter spricht, auch in seinen Liedern. Nicht, dass er von seiner Sprachkraft etwas verloren hätte - die ist kontrastreich, pointiert und manchmal unumwunden schroff. Aber feiner ist sie geworden, tiefsinniger, bedenklicher. "Wir kommen und wir gehen", das Lied ist so etwas wie sein Monogramm zum 65. Voller Zuversicht und Lebensmut, Aug in Aug mit den Gebrechen des Alters, die ihn nicht berühren. Da sagt er lapidar am Schluss: "Ich rede nicht von damals... so gut, wie es früher war ist es früher nie gewesen". Natürlich muss er von damals reden, denn er bleibt auch ein Mahner, erinnernd an das Gestern von Heute. Sein Leben spiegelt sich immer in dem anderer, er erzählt von der Großmutter und den Eltern, singt von seiner Kindheit. Erik van der Wurff, sein Pianist, vielleicht ein zweites Ich sogar - über ihn spricht er, wenn er sich meint. 45 Jahre mit ihm auf der Bühne, die sechziger Jahre - ist das schon so lange her? Ganz beiläufig wirft van Veen ein: "...als Afghanistan noch Vietnam war".

Das Clowneske, das er vorführt, kommt meist ganz jäh ins Spiel, die poetische Überhöhung dessen, was gerade gesungen und musiziert wurde. Fast nie ist es in diesem Programm Selbstzweck, Gag schon gar nicht. Gerade hat er auf das Altern gepfiffen und einen tollkühnen Ritt auf dem Kontrabass hingelegt, muss er sich von seinen Musikerinnen aufhelfen lassen, er kommt nicht mehr hoch. So köstliche Selbstironie ist Zeugnis seiner Souveränität.

Und dann fiel mehr und mehr auf, was er und seine Band an vorzüglicher Instrumentalmusik zu bieten haben, das ist zwar nicht unbedingt ein neuer Eindruck, aber die musikalische Qualität hat noch gewonnen. Van der Wurff sowieso, der regiert vom Piano aus mit seinem Können. Aber mit der Gitarristin Edith Leerkes und den beiden Geigerinnen Jannemien Cnossen und Dorit Oitzinger hat van Veen ein perfekt eingespieltes Ensemble an seiner Seite, da wird Kammermusik vom Besten gemacht und die Instrumentalteile des Programms sind längst nicht mehr "Begleitmusik". Van Veen umarmt die Welt und die Menschheit auch damit, Tango und Csardas, Country, Gopak und Fandango - alles im Stil der Suite und in barocker Instrumentierung, begeisternd für die Zuhörer.
Diesmal kamen nicht so viele Zugaben zu Stande, nun ja, da war dann auf jeden Fall klar, dass Herman nicht mehr der Jüngste ist und förmlich darum bat, ihm seinen Nachtschlaf zu lassen...



Von Reinhold Lindner