Lausitzer Rundschau Cottbus
Ida Kretzschmar

Ein zärtlicher Narr in Cottbus

13 april 2010

"Im Augenblick" heißt die neue CD, mit der Herman van Veen derzeit auf Tour ist. Am Sonntag verwandelte der niederländische Sänger in der Stadthalle Cottbus augenblicklich Regen in Sonne, Sonne in Regen. Ein Wechselbad mit Gewitter. Die rund 1000 Lausitzer Zuschauer halfen dabei lautstark.


Er lässt nicht auf sich warten. Augenblicklich füllt der noch etwas weiser und weißer erscheinende singende Vagabund gemeinsam mit seinen Musikanten die Bühne. Und von einem Moment auf den anderen hat er den ganzen Saal für seine Zwecke eingespannt.


Wechselnde Gefühle


Mit Fingerschnipsen, Schenkelklopfen der sanfteren Art, fröhlichem Pfeifen und Fußgetrappel schaffen die Zuschauer die Hintergrundgeräusche für sein erstes Lied, das mit Regen beginnt, passend zum Wetter an diesem launischen Lausitzer Wochenende. Ein reinigendes Gewitter aber wird es noch öfter an diesem Sonntagabend in Cottbus geben, denn Herman van Veen ist einer, der die Dinge beim Namen nennt, aber auch für reichlich Sonne sorgt, Gänsehaut inklusive.
Diesem munteren Gefiedel, dem sich Herman van Veen gemeinsam mit seinen Geigerinnen so leidenschaftlich hingibt, dass am Ende sogar die Haare des Bogens zu Berge stehen, können Regenwolken kaum standhalten. Schon gar nicht der Wärme seiner Poesie. Da ist er wieder, der alte Charmeur, der Philosoph und Komödiant, wohlbekannt und doch noch immer für Überraschungen gut. Ein Wechselbad der Gefühle, aus Sonne und Regen gemischt. Wenn er zärtlich von seiner Tochter Anne erzählt und dann noch ihr Lied zum Besten gibt: "Sing mit mir, tanz mit mir . . ." wird jedem warm ums Herz.


Ohne Vorwarnung


Augenblicklich meldet sich der Narr, der mit einem dunklen und einem hellen Schuh auf die Bühne gekommen ist. Unsentimental plaudert er über die andere Seite des Lebens: Ein altes Ehepaar kommt zum Rechtsanwalt. Der fragt: "Warum wollen Sie sich nach 60 Jahren noch scheiden lassen?" Nüchterne Antwort: "Wir haben gewartet, bis die Kinder tot sind." Aber es geht noch drastischer: Ost-Hund sagt zu West-Hund, während sie sich anpinkeln: "Stand hier nicht früher etwas dazwischen?"

Ohne Vorwarnung werden die Zuschauer, von denen nach Angaben des Sängers vor 45 Jahren 53 Prozent noch nicht gestorben waren, aus ihren Träumen gerissen. "Erzähl, was wahr ist", fordert er sich selbst auf. Und während er die krude Realität abbildet, lässt er kaum jemanden ungeschoren, weder den Priester, der das Kind missbraucht, noch den Papst, der (keine) Pariser verkauft.

Vor allem aber besingt der 65-Jährige mit milder Selbstironie das Alter. Ohne irgendetwas zu beschönigen oder zu vertuschen. Und doch, wie geht dieses "Schlaflied für Rosa", die nicht mehr weiß, wo und wer sie ist, unter die Haut! Ein Lied wie ein Rufen, ein sanftes Streicheln, ein Flüstern und Schaukeln. So unnachahmlich Herman van Veen wie auch sein Abschiedslied für einen verstorbenen Freund in seiner Muttersprache.
Doch dieser Poet kann auch anders. Nicht nur, dass er sich mal eben eine glänzende Schüssel auf den Kopf stülpt. Er tänzelt auch (ein bisschen zu lange) mit offener Hose umher, wie es im Alter eben so vorkommen kann. Nur, dass er aus dem Schlitz einen weißen Slip hervorzaubert und wie schon vor acht Jahren in Cottbus auf seinem weis(s)en Haupt drapiert. Klamauk, der die Geschmacksnerven mancher Zuschauer strapaziert. Unnötig. Zudem der Clown auch gern mal mit Tischtennisbällen umherwirft.

Zwischendurch streut er wieder Sternenstaub ins Publikum: Ein Magier, ein Jongleur, der schon mal mit dem Pianisten Erik van der Wurff im Pas de deux über die Bühne schwebt: "Erik und ich hüpfen seit 45 Jahren gemeinsam herum. Der erste Hüpf war zu einer Zeit, als Afghanistan noch Vietnam hieß und ich es auf meinem Schädel noch nicht schneien hörte", rückt Herman van Veen seine Crew ins Scheinwerferlicht. Edith Leerkes hat sich längst als glänzende Musikerin auf der Akustikgitarre präsentiert. Und im Verein mit den ebenfalls sehr ausgeschlafenen Geigerinnen und Gelegenheitsclowns Jannemien Cnossen und Dorit Oitzinger fühlt sich der singende Geiger ohnehin sichtlich wohl.


Blütenblatt auf der Nase


Sie alle werden ausgiebig vom Publikum gefeiert, sind nicht nur Wachsfiguren in Van Veens Kabinett. Als ihm aus dem Zuschauersaal eine Rose geschenkt wird, streut er die Blütenblätter über seine Musiker. Ein Blütenblatt aber klebt er sich selbst auf die Nase, verbeugt sich ganz tief vor seinem Publikum, bis er vor ihm auf dem Bauch liegt. "Ich hab' ein zärtliches Gefühl" singt Herman van Veen, nachdem er immer wieder Zugaben geben muss, ein Lied, das ihn 1973 bekannt gemacht hat. Doch dieser zärtliche Narr hinterlässt keine Illusionen. Nach einem ausgiebigen Bad in der Menge verschwindet er aus dem Saal, um kurz darauf wieder mit einem Satz auf der Bühne aufzutauchen: Wenn man mit bitteren Worten süße Worte sagt, wird die Welt nicht süßer.



Von Ida Kretzschmar