Schleswig-Holstein Journal
Teil 2
Das erste Mal in Deutschland 13 maart 2010

Teil 2

In der gestrigen Ausgabe unserer Zeitung lasen Sie im ersten Teil der Wochenendstory über die Kindheit von Herman van Veen. Der folgende Ausschnitt aus seiner Autobiographie „Bevor ich es vergesse" handelt von der ersten Reise des „Schleswig-Holstein am Sonntag"-Kolumnisten nach Deutschland.


„Deutschland. Hier ließ man starke blonde Jungen, perfekt programmiert, sich mit ebenfalls blonden Mädchen paaren, um kräftige blonde Kinderchen zu zeugen", schreibt Wannes Van de Velde. Alles verändert sich, auch die Vergangenheit, erzählte mir Willem Wilmink. Lernte man früher über den Zweiten Weltkrieg, dass die Menschen damals gut oder falsch waren, wird der Nachdruck jetzt vor allem auf die gelegt, die in jenen Tagen sowohl gut als auch falsch waren: Die auf einer falschen Seite mitwirkten, weil das für ihre Untertaucher sicherer war, oder die Freundschaft mit deutschen Offizieren schlössen, um Menschen frei zu kriegen, oder die Konzerte für deutsche Frontsoldaten gaben, um ihre Widerstandsarbeit weitermachen zu können.


Neue Freundschaften


„Herman, es gibt Deutsche und Faschisten. Geh hin und zeig ihnen, was Sache ist", antwortete mein Vater, als ich ihn fragte, was er davon hielt, wenn ich in Deutschland spielen würde. Ich wurde eingeladen, nach Deutschland zu kommen, von Alfred Biolek, dem damaligen Fernsehproduzenten beim WDR, und dem Pernsehredakteur und Autor Thomas Woitkewitsch. Sie organisierten im großen Punksaal des WDR ein Konzert und luden dazu ihre Freunde und Verwandten ein. Darunter waren der Urhamburger Impresario Karsten Jahnke und seine rechte Hand Hauke Tedsen. Es sollte der Beginn einer fast vierzigjährigen Freundschaft werden. Das wusste ich da mals noch nicht. Ich war nach diesem Konzert um vier Freunde und eine neue Welt reicher.

Dieses Volk ist so bescheiden geworden, alle wollen sie Dritter, höchstens Zweiter werden. Heinz Rudolf Kunze


Heroin und Kolophonium


„Können sie mal den Koffer aufmachen?", fragte der Zollbeamte auf dem Flughafen von Frankfurt. Ich riss meinen Geigenkasten auf. „Was ist das für ein weißer Staub? Da auf der Geige?" „Harz. Kolophonium", sagte ich, „das brauchen -wir, um die Haare des Bogens aufzurauhen. Macht man das nicht, gleiten die Pferdehaare von den Saiten. Eine Art Anti-Rutsch-Mittel für Geigen."
Der Mann sah mich grübelnd an. „Kommen Sie kurz mal mit."
Er ging vor mir her. Alle meine Sachen wurden untersucht. Mein Samsonite auf den Kopf gestellt. Nichts.

Dann musste ich mich ausziehen. Ganz. Auch die Socken, das T-Shirt, die Unterhose. Da stand ich, nackt. Auf einer kleinen Matte in einem grotesk großen Raum. . Auf einem aus den Fugen geratenen Flughafen mit einem Mann vor mir, der eine Schirmmütze authatte, darunter einen Kopf, leere Augen, einen Mund -wie eine Narbe, einen Schnurrbart, lächerlich lange Ohrläppchen. Hatte ihn seine Mutter .'' daran durch seine Jugend gezerrt? Er zog einen Plastikhandschuh an. Ob ich mich bücken würde. Dann erst kapierte ich. Sollte er etwa ... Kolophonium für Heroin halten? Ich bückte mich. Sein Finger glitt hinein. Ich war zu erstaunt, um zu reagieren. Eine ungekannte Wut flammte in mir auf. Er zog die Hand zurück, sah mich blöde an. Ich wollte ihm ins Gesicht treten. Seine Augenbrauen über den Hinterkopf ziehen. „Du Arschloch", sagte ich. „Riesen-, Riesenarschloch!" Er streifte wie ein Chirurg den Handschuh herunter.

„Sie können in diesem Buch Ihre Beschwerden aufschreiben."

Er gab mir ein großes, abgegriffenes Buch. „Sie müssen verstehen: Das ist mein Job", sagte die Uniform. „Ich mache nur das, was mir befohlen'wird."
Aus dem Augenwinkel sah ich einen Kimer, randvoll mit Gummihandschuhen. Ein Kollege des Pflichtenerfüllers kam herein. Ich stand noch immer wutentbrannt und splitternackt da. Die Männer flüsterten miteinander und sahen mich danach an wie zwei Hunde.
„Sind Sie der holländische Liedermacher?", fragte einer von ihnen. „Kann ich von Ihnen, wenn Sie wieder angezogen sind, ein Autogramm für meine Frau haben?"
„Warum sind Sie in die DDR gekommen?", fragte ein Journalist während meiner ersten Pressekonferenz in Ostberlin.
„Um einen Stein aus der Mauer zu singen", antwortete ich. Es wurde erstaunt und höhnisch gelacht.


Bombendrohung


Von allen Deutschen, die ich kenne, sind mir — bis auf eine Handvoll Ausnahmen - die aus dem Osten am liebsten, und das nicht, weil sie so viel weiter weg von Holland wohnen. In der Zeit, als wir in der damaligen DDR spielten, wollten sie, dass ich nicht alles sang. Ich habe mich daran niemals gehalten. Merkwürdig ging es nach dem Fall der Mauer. Der Veranstalter erhielt eine Bombendrohung: „Wenn er das Lied über Hitler singt, jagen wir das Theater in die Luft." Hoffentlich erst nach der Vorstellung ...
Dann kommt zu dir ein Mann. „Herr van Veen, ich muss es ihnen sagen: Es ist schon wieder ein Drohbrief gekommen. Was sollen wir tun?"
Ja, ojemine. Wie soll man auf so einen Brief reagieren? „Tickt er?" „Nein, das nicht." „Na, dann tun wir's einfach und singen das Stück."

Ich war davon überzeugt, dass sie das in einem vollen Saal nie wagen würden. Gut, das war vielleicht Kein großes Risiko, aber in dem Deutschland von damals, neunzehnhundertundsoviel, lagen die Dinge etwas anders. Da brannten wieder Häuser. In Österreich war es noch ein bisschen schlimmer. Da ist das Dunkelbraun noch tiefer, ist es struktureller und viel stärker organisiert. Während man auf die Bühne tritt, tickt der Brief deshalb doch im Kopfweiter. Und wenn man arbeitet, geht es noch einigermaßen. Man steht doch in einer Art Kreis, umgeben von den Menschen im Saal, die einen schützen. Aber wenn das Konzert zu Ende ist ...

Die Angst kommt bei den Zugaben. In diesem Moment strömen die Leute nach vorn, und einige kommen auf die Bühne, um einem eine Blume oder einen Brief zu geben. Und gerade in den drei Viertelstunden nach der Vorstellung, habe ich Angst. Durch das grelle Licht sieht man so gut wie nichts, die Menschen kommen aus dem Dunkel auf einen zu. Manchmal beängstigend Moment schießt einem augenblicklich der Drohbrief durch den Kopf: „Es wird doch wohl nicht wahr sein? Es wird doch, verdammt noch mal, nicht wirklich wahr sein?"

Und dann singt man weiter, "während man mit einem Auge zu der Tüte schielt. Wenn man nach zwei Liedern genügend Mut gesammelt hat, um in die Tüte zu schauen, stellt sich heraus, dass da zwei Spekulatiuskekse drin sind. Oder das Büchlein „Der kleine Prinz, für Herman van Veen." Ich sitze manchmal nach dem Schluss da und weine vor Erleichterung wie ein kleines Kind. Und ein paar Stunden später im Bett explodiert in meinen Träumen die Bombe.



Herman van Veen:
„ Bevor ich es vergesse"
Aufbau Verlag, 280 S„
19,95 Euro,
ISBN978-3-351- 02718-6

Erscheinungsdatum:
14. März 2010