Hamburger Abendblatt
Tom R. Schulz
Herman van Veen feiert seinen 65. Geburtstag
Muttersohn, Vaterkind, Musensohn
13 maart 2010



Er füllt die Säle und bezaubert durch Witz und Gedankentiefe. Jetzt erzählt er sein Leben - "Bevor ich es vergesse".


Hamburg. Die Eltern hörten auf zu verhüten, als sich abzeichnete, dass die Deutschen den Krieg verlieren würden. Sieben Wochen vor dem ersehnten Ende, am 14. März 1945, kam ihr zweites Kind zur Welt, ein Sohn. Sie nannten ihn Hermannus Jantinus. Hermannus nach dem Großvater, Handelsreisender und Prediger bei der Pfingstgemeinde Utrecht. Und Jantinus nach dem Vater, Schriftsetzer bei der Tageszeitung "Het Parool" und Sozialist. Wer vom Jahrgang 1945 noch am Leben ist, wird in diesem Jahr 65 Jahre alt. Hermannus Jantinus van Veen, den seine Plattenfirmal zutreffend "Deutschlands Lieblings-Holländer" nennt - Rudi Carrell ist ja tot -, feiert seinen 65. an diesem Sonntag. Menschen, die er mit Liedern wie "Ich hab ein zärtliches Gefühl", mit der Entenerfindung Alfred Jodokus Kwak oder mit seinen Bühnenvorstellungen erfreut hat und die neugierig sind auf seine Geschichte, beschenkt Herman van Veen jetzt mit seiner Autobiografie: "Bevor ich es vergesse" (Aufbau Verlag).

Schon der Titel ist van Veen pur - er lädt eine Redensart mit tieferer Bedeutung auf. Unter dem "Ach ja, was ich noch sagen wollte" schwingt das Wissen um die Kürze des Lebens und die Flüchtigkeit des Gedächtnisses. Er wollte schreiben, solange er sich noch präzis erinnern kann. Der Buchumschlag zeigt den Autor im Profil: Das Haar, dessen Ansatz sich weit hinter den Scheitelpunkt zurückgezogen hat, hängt überm aufgestellten Mantelkragen wie Vogelfedern. Das blaue Auge im mächtigen Schädel richtet seinen Blick in die Ferne. Ein paar Falten, auch vom vielen Lachen, und Krähenfüße. Nur der Mund mit den vollen Lippen ist nicht der eines Mannes, der drohendem Gedächtnisverlust zuvorkommen will. Um Jahrzehnte Jüngere sind längst schmallippig geworden, gezeichnet von Enttäuschung, von Härten, von Kämpfen. Auch van Veen erzählt in seinem Buch von Enttäuschungen, Härten und Kämpfen, daran hat es ihm nicht gemangelt. Trotzdem hat der Mund - noch im Schweigen verräterischster Auskunftgeber über den wahren Gang eines Menschenlebens - etwas Weiches, Berührbares behalten, die Offenheit des Kindes.

Als die Eltern kurz nacheinander sterben, ist van Veen schon jenseits der 50. "Meine Jugend war jetzt vorbei. Ich war kein Kind mehr", schreibt er, und das ist ebenso herzzerreißend wie unheimlich. Van Veen verklärt weder Kindheit noch Familie, doch ist beides in ihm so lebendig und aktiv, als wäre er zum Erwachsenwerden gezwungen worden.

Die ewige Heimat Kindheit mag man sonderbar finden; sie hat den bekennenden Muttersohn aber nicht nur zu einem vor Fantasie überbordenden und bezaubernden Bühnenunterhalter gemacht, der zwischen unbändiger Lebensneugier und kindlicher Zerstörungsfreude vor dem Publikum das ganze Panorama der vermessenen und der noch nicht erklärten Welt aufzublättern vermag. Sie hat ihn auch zu einem beispielhaft tätigen Menschenfreund gemacht, der ohne alles Mediengetrommel Theater und Schulen für Kinder in Afrika baut.

Sein Engagement für Unicef begann, als er 17 war, aufgestört durch vielerlei Ungerechtigkeit auf der Erde, und es wird nicht aufhören, ehe die Ungerechtigkeit auf der Erde aufhört. Obercoole und Gegenwartszyniker hängen Herman van Veen gern das Flokati-Mäntelchen des Gutmenschen um. Andere finden ihn betulich. Tatsächlich strahlen seine neuen Lieder weniger Reibungsenergie ab als früher, sind seine Bühnenprogramme weniger anarchisch. Und doch: "Wo kommen all die Menschen her?", fragt van Veen im Nachwort. "Müssten nicht inzwischen 40 Prozent unseres Publikums gestorben sein? Zu unserem großen Glück: Die Säle sind immer voller."

Jeder Künstler muss von sich besessen sein. Herman van Veen macht da keine Ausnahme, doch setzt er sein Leben dafür ein, den Widerspruch zwischen Kunst und Leben, zwischen Liebe und Macht, zwischen Arm und Reich immer neu zu bombardieren - mit Gelächter, mit Nachdenken, mit Arbeit. Jeden Abend während jeder Vorstellung und jeden Tag, wenn er in seinem Harlekijn-Büro in den Niederlanden hinterm Deich sitzt oder in humanitärer Mission für die Rechte der Kinder unterwegs ist. Er ist Aufklärer und Clown, Hallodri und Moralist, und - darin ganz Enkel seines Namenspaten - Prediger. Ein Prediger ohne Gott.