Dirk Krampitz schrieb 101199 in Die Welt Online

König Albino I. mag keine Sommersprossigen



Nackt, wie er selbst sich schuf, betört Herman van Veen Fans und Kollegen im Theater des Westens

Mit sanfter Besorgnis rupft Herman van Veen der Rose die Blütenblätter aus. Gerade hat er die Blume von einer schüchternen Verehrerin geschenkt bekommen. Schließlich nimmt er die roten Blätter wie einen Schatz in seine Hand und verteilt sie an seine etwas ungläubigen Musiker. Dann sticht er sich die langstielige Blume ins Herz. Herman van Veen legt kein normiertes Bühnen-Verhalten an den Tag - aber das schätzen seine Fans an ihm.

Es war das Auftakt-Konzert zu seiner Mini-Deutschland-Tournee. Seit 22 Jahren spielte er zum ersten Mal wieder im Theater des Westens. "Und nicht in Gymnastikhallen, wie so oft in Deutschland." Im Rücken hatte er eine swingende Bastion, das Rosenberg-Trio. Vor drei Jahren traf er die Musiker im Amsterdamer Concertgebouw in der Garderobe. Sie zupften vor der Pause, er sang danach. Nun arbeiten sie zum ersten Mal zusammen.

Van Veen wagte sich mit den niederländischen Sinti auf für ihn ungewohntes musikalisches Terrain. Der famose Gypsy-Swing-Onkel Stochelo mit seinen beiden Neffen Nou'sche und Nonnie webt mit drei weiteren Musikern einen warmen eindringlichen Sound auf den Saiten.

Insgesamt finden sich drei Gitarren, zwei Kontrabässe und zwei Geigen auf der Bühne und noch ein wenig Krempel von Herman van Veen: Er tanzt mit einem Regenschirm zwar ohne Bespannung, dafür mit Lämpchen, kreuzt Bögen mit seiner Geigerin Jann bis es staubt, zaubert ein Hasenskelett mit Plüschfüßen und Stummelschwanz aus dem Hut. Und er erzählt.

Vom 89-jährigen Clown, der Fingerstand auf dem Schlappseil macht und danach von drei 77-jährigen "Mädchen in Tangi - das ist die Mehrzahl von Tanga" -, die ihn mit Schiffsketten fesseln. Der Clown entfesselt sich und weint. Denn er hat Sommersprossen. Und bei König Albino I. werden solche Leute "inmittendurchgeschnitten".

Herman van Veen und sein Fantasie-Kosmos zwischen Witz, Wahnsinn und Gewalt. Es wird bedrückend still im Theater des Westens. Der frisch gebackene Träger des Bundesverdienstkreuzes am Bande singt viele neue Lieder. Vom "Mädchen mit Magersucht" bis zum Wiegenlied. "Mit Liedern singst Du den Krieg nicht zu Ende, so laut du auch singst, du überstimmst nicht, was geschieht. So groß der Protest, es bleibt eine Geste, die Welt wach zu singen mit einem Wiegenlied."

In der dritten Reihe grübelt Reinhard Mey über den Zeilen, Klaus Hoffmann macht sich Notizen auf einem viel zu kleinen Zettel. Von van Veen kann man noch was lernen, auch wenn dem Meister selbst die Zeit zum Textelernen fehlte. Er hat einfach Spicker auf der Bühne drapiert. Mal singt er mit nachdenklich zu Boden geneigtem Kopf, mal starrt er auf den Abgang. Mal hält der Herzbube für europäische Frauen ab 18 große Spielkarten in der Hand.

Herman van Veen hat keine Fans, er hat Fanatiker und Groupies. Er bekommt Rosen. Die Blätter der einen verteilt er an seine Musiker. Er bekommt ein Kilo Tafelschokolade und eine Frau hat sich weiße Schuhe um den Hals gehängt, solche wie er auf der Bühne trägt. Längst war die Brandmauer im Theater des Westens zu sehen. Doch rund 100 Zuschauer ließen sich nicht aus dem Konzept bringen und klatschten so lange weiter, bis Herman von Veen auf die Bühne kam. Er griff zu seiner manchmal eingesetzten Notlösung: Er kam nackt, um zu zeigen, dass er nun nichts mehr zu geben habe.




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