Siegener Zeitung

Vor allem wesentlich

10 mei 2010

SIEGEN Die SZ präsentierte das Konzert von Herman van Veen in der Siegerlandhalle


Ciu * Der Kontrabass hat hinten eine Tür. Jemand klopft an und öffnet ist hier zu Hause, die Geige von Herman van Veen. Er nimmt sie und beginnt zu spielen. Warm und weich und wunderschön. Der Klang der Geige hat Ähnlichkeit mit dem Klang der Stimme dieses Musikers, Geschichtenerzählers, Sängers und Clowns. Seelenverwandtschaft, die zu hören ist. Häufig greift Herman van Veen in seinem neuen Programm zur Geige. "Im Augenblick", von der SZ präsentiert, am Samstag in der gut besuchten Siegerlandhalle zu erleben, gibt der Musik viel Raum. Und lässt damit wohlgesetzte Worte nachklingen. Zum Beispiel Anekdoten, wie die vom Enkel, der dem Opa ein Bild von einem Hasen schickt hat, ohne Ohren; auf die Frage des Opas, warum der Hase denn keine Ohren habe, sagt der Enkel: "Die sind noch in meinem Bleistift." Aber auch ernsthaft Bedenkenswertes, wie die Beobachtung, dass die holländische und auch die deutsche Sprache kein eigenes Wort für ein verwaistes Elternteil hat ("Was sagt das über unsere Gesellschaft aus?"), oder der spitzfindige Rückblick auf die 60er Jahre, "als Afghanistan noch Vietnam heiß", oder der Fingerzeig auf Ehrenfeld, wo "der gelebte Unterschied" in der Diskussion über den Bau einer Moschee sichtbar wird.

Das Nachsinnen übers Älterwerden ("wenn du unaufhaltsam eine schwindlige Gestalt wirst") zieht sich wie ein roter Faden durch den Abend. Herman van Veen, im März 65 geworden, kokettiert nicht mit seinem Alter, befasst sich aber durchaus damit. In Liedern gegen das Vergessen und für das, was wesentlich ist, in Geschichten von früher, als er ein kleiner Junge war (und "Katholik") und in der schnurgeraden Bitte "Leg keine Blumen auf mein Grab, bring sie jetzt". "Lebe jetzt!" ist sein Appell - und offensichtlich sein Lebensmotto. Denn van Veen springt und tobt und tanzt über die Bühne, als gebe es kein Gestern und kein Morgen. Mit Mut zum absoluten Nonsense ("Freunde der Musik …"), mit großer Energie (die er rauslässt, stimmlich, auf dem Flügel, an der Trommel) und mit diesem schelmischjugendlichen Lächeln, das so sonnig wirkt (wer am Samstag im Publikum saß, wird jetzt beginnen zu pfeifen …). Van Veen ist auch auf dieser Tour Erster unter Ersten, ein Mitspieler in einem Team, das vor allem auf ihn ausgerichtet ist: der Pianist und Bassist Erik van der Wurff, die Gitarristin Edith Leerkes und die Geigerinnen Jannemien Cnossen und Dorit Oitzinger, jede und jeder für sich ein Künstler, eine Künstlerin von eigener Prägung, alle miteinander ein richtig gutes Ensemble. Besonders anrührend sind van Veens Liebeslieder, mit denen er sich so kompromisslos an die Seite der Geliebten stellt und von denen er gleich einige spielte, darunter auch eines, das seine Tochter Anne geschrieben hat: "Ich will dich". Solches geht mit, vielleicht bis zum nächsten Konzert (in drei Jahren!). Was auch mitgeht, ist einer der kleinen weißen Tischtennisbälle, die der Zauberer van Veen vom Himmel tropfen lässt. Ein schönes Bild, eine von vielen Überraschungen. "Und es regnet …" (nicht nur in Amsterdam). Natürlich verlangte das Publikum nach Zugaben und bekam sie auch: ein Schlaflied, einige Takte "Ich hab ein zärtliches Gefühl" und ein ganz leises "zum Schluss, Schluss, Schluss", "Sommer im August". Den Text schrieb das jüdische Mädchen Selma Meerbaum-Eisinger im Jahr 1942. Sie starb in einem deutschen Arbeitslager. Herman van Veen und Edith Leerkes halten die Erinnerung wach.