Sächsische Zeitung
Uwe Käding
Mimik, Musik und tiefere Bedeutung

Mit seinem neuen Programm gastiert der Holländer Herman van Veen gleich zwei Mal in Dresden
7 april 2010

Schon der Himmel über Holland ist ein ständiges Manifest, dass alles sich in Sekundenbruchteilen ändern kann. Herman van Veen spürt Momenten wie diesen in seinem neuen Programm nach, das seine Entstehung auch dem Zug von Amsterdam nach Wuppertal verdankt...


Ein Foto von Pina Bausch war van Veens Inspiration für das Programm um das Dutzend Lieder seines Albums „Im Augenblick“ (Boutique/Universal), das eine philosophisch-clowneske Reise von zornigen Beobachtungen in Amsterdam bis hin zum Schlusspunkt „Was kann ich für dich tun?“ ist. Privat und politisch zugleich, richtet er die Scheinwerfer der Reflektion auf jene Momente im Leben, in denen plötzlich etwas nicht mehr dasselbe ist wie zuvor, in denen Zusammenhänge aus den Fugen geraten und sich neu zusammenfügen.

Auch der Zug nach Wuppertal ist für van Veen seit dem Tod der großen Tänzerin und Choreografin am 30. Juni nicht mehr derselbe: „Ich bin nach Wuppertal gefahren, um ihre Arbeit zu sehen“, sagt der 64-jährige Musiker. Wenn man ihn beim Schreiben des Textes, also vor ihrem Tod, gefragt hätte, warum nach Wuppertal? „Weil Pina Bausch da schönes Theater macht“, hätte er gesagt.

„Das Lied ,Im Augenblick’ ist buchstäblich zu verstehen“, sagt van Veen. „Unvermeidlich ist dann: Umgucken und nach vorne gucken. Man befindet sich, auch wenn man zehn oder 90 Jahre alt ist, immer im Mittelpunkt einer Waage: Wir wissen nicht, wie lange unsere Zukunft wird, wir wissen nicht, wie die Geschichte sich ändert. Die Geschichte ist nicht statisch.“ So seien auch in seinem Dasein als Vater plötzlich scheinbare Gewissheiten und Erwartungen in einem Moment auf den anderen über den Haufen geworfen worden.
„Meine Tochter, meine jüngste Tochter, liebt Frauen. Überraschende Wahrnehmung! Meine Tochter hat sich verändert, in meiner Sicht, weil ich dachte, ich werde – von ihr – Opa. Vielleicht werde ich Opa, aber in einer anderen Struktur. Ich habe jetzt mit meinen 64 Jahren gelernt, dass nichts so ist, wie du dachtest, dass es war.“ Van Veen zählt weitere Beispiele auf: Ein Freund, der plötzlich unerwartet verstorben sei und ein Mitmusiker, der die Diagnose bekam, dass er nicht mehr lange zu leben habe. „Der sagte: ,Herman, die Grenzen von unseren Leben kündigen sich an.’ Aber das war gestern nicht so. Alle Noten, die er spielt, höre ich jetzt anders. Weil es 45 Jahre selbstverständlich war – und jetzt ist es nicht mehr selbstverständlich. Eine völlig andere Wirklichkeit!“

Dieses Vexierspiel geht bis tief in die Lieder hinein. „Köln Ehrenfeld“ beschreibt die Reise von Armut nach Europa, aber dahinter steht zugleich die Armutsimmigration von Zentral- nach Südafrika, wo täglich 1500 Menschen an Aids sterben. Oder das Lied „Bei mir“, das seine Tochter geschrieben hat. „Sie schreibt über eine Frau, die in Afrika wohnt. Wenn du das weißt, wird es ein anderes Lied. Wenn du das nicht weißt, wird es dein Lied. Wenn ich singe: ,Leg’ die Haare auf mein Kissen’ wird es auf einmal clownesk. Wenn ich einmal so mache (van Veen wirft den Kopf mit dem Haarkranz herum), lachen die Leute. ,Deine Haare auf meinem Kissen!’ Verstehste, es wird ein Milliardenlied, wenn man nicht spezifisch wird. Wenn man dagegen spezifisch wird, hat man recht oder unrecht. Und das ist das Uninteressanteste, was es gibt.“ Die Reise führt zu einem Punkt, an dem der Unterschied zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit nicht mehr besteht. An dem man fragt: „Was kann ich für dich tun?“ und damit zugleich individuelle Hilfe anbietet und eine gesellschaftliche Arbeit, einen Dienst verrichtet. Van Veen nennt das ein zivilisiertes Verhalten, im Gegensatz zum rein ökonomischen. Die Ursachen für Drogenkriminalität und Kriege seien zivilisatorisch zu beheben, behauptet der Musiker. „Aber das ist keine ökonomische Lösung. Und Ökonomie ist die Priorität, nicht Zivilisation.“ Im Klartext heißt das für ihn: Solange sich mit Drogenabhängigen Milliarden verdienen lassen, wird es Kriege geben – in der Unterwelt der Großstädte, in Kolumbien und anderen Anbauländern.
Dieser kruden Realität will sich van Veen aber nicht ergeben. Er baut einen clownesken Spannungsbogen: „Gott ist der Wind“ heißt das neunte Lied, gefolgt von „Ciao“, dem Ende einer Beziehung, die mit einem Zettel auf dem Küchentisch endet: „Ich kann nicht leben von Wind. Ciao.“ Im Deutschen würde man sagen, „Ich kann von Luft und Liebe nicht leben“. „In Holland sagt man ,Wind’“, erklärt van Veen. „In der Vorstellung ist das natürlich eine Kontrapunkt-Dramaturgie! Das ist nicht anders bei Johann Sebastian Bach: Etwas geht nach oben, und danach oder gleichzeitig geht etwas nach unten. Es ist so, aber gleichzeitig auch so! Bei Bach ist alles umgekehrt auch wahr. Und in der Dramaturgie unserer Vorstellung ist es ab und zu knallhart das Gegenteil.“

Sein Enkel habe ihn auf das Thema „Gott“ gelenkt, erklärt van Veen. Der habe gesagt: „,Opa, Gott gibt es!’ Da habe ich gesagt: ,Wie kommst du denn darauf?’ Da sagte er: ,Weil er einen Namen hat.’“ Er habe mit dem Kind darüber geredet und dann sei das Lied gekommen. Das sei ein faszinierendes Erlebnis: „Man stellt eine Frage, bekommt eine Antwort, und daraus entstehen neue Fragen. Wenn keine neue Frage da ist, ist Schluss. Das muss die falsche Antwort sein!“

Bekannt wurde van Veen 1973 mit dem Lied „Ich hab’ ein zärtliches Gefühl“. 150 CDs, zwölf DVDs und um die 60 Bücher veröffentlichte er seitdem, wirkte in Spielfilmen mit und machte Theater. „Ich hab’ ein zärtliches Gefühl“ sei das wichtigste Lied, das er je gesungen habe, erklärt van Veen. „Es ist eine Art Credo. Das ist so einfach, dass man Gänsehaut bekommt von jemandem, der den Mut hat, bei sich zu bleiben. Ein Ei zu backen, ohne sich zu fragen: Was denkt die Welt? Einen Salat zu pflücken, oder die Wäsche zu machen, oder nein zu sagen, wenn die ganze Welt ja sagt.“ Herman van Veen ist sich treu geblieben. Das beweist er mit seinem aktuellen Album und erst recht auf seiner Tour, die ihn nun für zwei Konzerte auch nach Dresden führt. sz.plusz@dd-v.de


Herman van Veen & Band, 9. und 10. April, jeweils 20 Uhr, Kulturpalast, Dresden, Tickets ab 40,65 Euro, Hotline: (0351)48642002, Internet: www.hermanvanveen.com