Herman van Veen
SH am Sonntag
Wie eine lebende Ansichtskarte
7 feb 2010

Sonnenstrahlen brechen durch tiefhängende Wolken und werfen ihr Licht auf schneebedeckte Hänge. Kinder rasen johlend vor fröhlicher Angst auf ihren knallbunten Schlitten hinab und kommen bei den hohenTannenbäumen zum Stehen.

Zwei Rehe, verfolgt von einem Dackel, versuchen eilig im etwas höher gelegenen Wald zu entkommen.Tief unten imTal liegt die große Stadt wie ein warmer Schal um den jetzt eisigen See. Geräusche von hupenden Autos und von Zügen dringen hinauf zu meinem Fenster.

Auf der Fensterbank liegen so fünf Zentimeter frischer Schnee. Gerade war eine Taube zu Besuch. Mit schrägem Köpfchen schaute sie herein und blinzelte, tippelte danach ein wenig hin und her und flog schließlich davon, ohne ein einziges Wörtchen zu gurren oder mit ihrem Schnabel ans Fenster zu ticken.

Es sieht so aus, als ob ihre Fußabdrücke im Schnee eine Zeichnung von einem Gesicht hinterlassen haben. Ein lachender Mann mit einem Bart.

Mit ein bisschen Fantasie kann ich Sigmund Freud erkennen.
WasTauben so alles auf dem Kasten haben!
Zufall oder nicht, kurz darauf sehe ich in der Schweizer Zeitung ein Foto von demselben Sigmund Freud. Ein gesetzter, streng schauender Mann.
Er starrt mich von dem Zeitungsblatt mit fünf Kollegen an.
Ich probiere, so seriös wie möglich zurückzublicken.
Hab keine Ahnung, was die weisen Männer von mir denken.
Das kommt noch.

Schließlich können wir schon SchwarzWeiß-Filme in Farbe übertragen. Man braucht lediglich nur das Rot einer
Ampel einzufügen, um zu wissen, welche Farbe alles andere hat.
So wird es einst auch möglich sein, Fotos bis zu einem gewissen Grade zum Leben zu erwecken.
Wärme ist Energie. Energie hat eine Farbe. Wir wissen also durch die Grautöne, woher die Männer auf dem Foto kamen und wohin sie, nachdem das Foto gemacht wurde, wieder gingen.
Man kann dann demzufolge auch ein Foto in ein zirka dreiminütiges bewegtes Bild verwandeln.
Sigmund Freud runzelt nun die Stirn, er kratzt sich an seiner Schläfe. Ich sehe ihn überlegen:

Welch ein Narr schaut mich hier an?



Herman van Veen (64) ist niederländischer Musiker, Entertainer und Unicef-Botschafter.
Seine Sonntags-Gedanken schreibt er exklusiv für Schleswig-Holstein am Sonntag.