Herman van Veen
SH am Sonntag
unziemlich
6 juni 2010

Mit dem Älterwerden erinnert man sich mehr und mehr an das, was man einst sah, las, hörte Mein Onkel Frans, der Bruder meiner Mutter, war ein Geschäftsmann.
Er saß sonnabends in der Synagoge, sonntags in der Kirche, und war in derTextilbranche als Markthändler tätig.
Ich höre ihn noch, mit seiner Zigarre im Mundwinkel sagen: „Tweed, schottische Arbeit, knittert nicht, sitzt gut, fusselt nicht, einfach zu waschen.
Er verkaufte Damen- und Herrenunterwäsche, Taschentücher und Stoffe. Onkel Frans trug, genau wie die Leinwandstars damals, einen dünnen Schnurrbart, so als wäre es ein Strich von der Holzkohle.
Wenn ein Kunde das Wort an ihn richtete, hörte er bereitwillig zu, den Kopf leicht schräg wie eine Amsel, Funkeln in den Augen.
„Was belieben Sie zu wünschen?" Die Intonation seiner Stimme, der leichte Utrechter Dialekt, verrieten unendliche Redegewandheit und die feste Gewissheit, dass er das, was immer der Kunde wünschte, auch haben würde.

Nicht selten verschwand er dann kurz hinter seinem Stand, um sogleich mit einer Eindruck erweckenden Stoffrolle unter dem Arm zurückzukehren.

Er warf sie dann gespielt lässig über die gestapelte Unterwäsche, schlug daraus einen Schlüpfer auf und sagte mit fester Stimme: „Für die Dame."
Danach spähte er durch seine Wimpern die Kurven ihres Körpers ab. „Ich sehe Sie ihn schon tragen. Pure Baumwolle," flüsterte er.

„Reiner Zufall, dass ich diese Rolle noch hatte, Knittert nicht, kneift nicht, kratzt nicht."

Onkel Frans verstand die Kunst des Verkaufens wie kein anderer.
„Ein guter Verkäufer','so sagt der von mir bewunderte, und auch in diesem Artikel schamlos zitierte niederländische verstorbene Schriftsteller Godfried Bomans, „ist ein Liebhaber."
„Seine platonische Verliebtheit zum Kunden endet allerdings, sobald sich die Ladentür hinter diesem schließt. Aber in der kurzen Zeitspanne davor muss sie feurig sein, aufrecht und ohne Eigennutz."

Im Gegensatz zu einem Geschäft, wo das Anpassen und Abmessen von Stoff Aufgabe einer Verkäuferin ist, passte Onkel Frans die Stoffe, vorzugsweise bei einigen hübschen Damen, selbst an.

Dann verschwand er mit der Kundin hinter dem Stand, wo sein komfortabler Lieferwagen stand. „Herman, kannst du kurz mal auf den Laden aufpassen?"
Das Hörspiel, das ich dann manchmal hörte, war noch spannender und aufregender als Radio.
Unziemlich für Kinderohren.



Herman van Veen (65) ist niederländischer Musiker, Entertainer und Unicef-Botschafter.
Seine Sonntags-Gedanken schreibt er exklusiv für Schleswig-Holstein am Sonntag.