Westfälische Nachrichten
Markus Möhl
Herman van Veen: Mit Augen eines Kindes die Welt sehen 5 maart 2010

Ahlen - Andere gehen in diesem Alter in Rente - er nicht. Kann er auch gar nicht, weil das Kind im Mann ihn immer wieder auf die Bühne schubst. Und Herman van Veen will es auch gar nicht, denn er hat noch so viel zu erzählen. Der holländische Ausnahmekünstler wird in der nächsten Woche 65 Jahre alt, zumindest auf dem Papier. „Aber eigentlich bin ich nie älter als zwölf geworden“, hat er mal gesagt.


Und so wirbelt er auch am Donnerstagabend in der Stadthalle herrlich ausgelassen und übermütig über die Bretter, die für ihn seit mehr als 40 Jahren die Welt bedeuten, wirft völlig sinnfrei einfach Hunderte Tischtennisbälle ins Publikum, brabbelt und kreischt in albernen Fantasiesprachen und hat eine diebische Freude dabei, es gemeinsam mit den 650 Zuschauern im Saal durch Schenkel klopfen und Füße stampfen regnen und gewittern zu lassen.

Äußerlich habe er sich zwar verändert, sagt Herman van Veen, und nur ein paar treue Haare seien ihm geblieben. Aber er schaue die Welt immer noch mit den gleichen Augen an wie als Kind. Und genau das schätzen seine Fans an ihm: dass er nämlich genau hinsieht, was in der Welt und zwischen Menschen passiert. Dass er es unbestechlich und ohne ideologische Bremse im Kopf auf den Punkt bringt. Und dass er dafür Texte und Melodien findet, die nahe und ans Herz gehen.

Auch diesmal gelingt ihm das wieder - mit dem neuen Album und dem gleichnamigen Bühnenprogramm „Im Augenblick“. Eine Bestandsaufnahme ist es geworden, eine Standortbestimmung. Und da kommt dann doch recht oft die „65“ durch: Herman van Veen hat sich viele Gedanken über Altersschwächen und Vergänglichkeit, Sterben und Tod gemacht - natürlich auf seine ganz eigene Art und Weise. Nie allzu ernst, aber doch mit Tiefgang. Zum Beispiel in der Ballade von Hans und Klärchen, die ihre Hunderunde inzwischen ohne Hund machen und deren Rasen im Garten schon danach aussieht, als würde er auf sie warten.

Oder mit einem Lied über die vermeintlich wichtigen Dinge des Lebens, die man aber schnell vergessen kann, weil eigentlich nur eins wirklich zählt: „Freundschaft vergisst man nicht“.

Herman van Veen singt und spricht seine Texte nicht nur, er tanzt und springt sie, erzählt sie mit dem ganzen Körper. Und wird dabei wunderbar unterstützt von seinen virtuosen musikalischen Mitstreitern Erik van der Wurff (Klavier), Edith Leerkes (Gitarre und Gesang), Jannemien Cnossen und Dorit Oitzinger (Geige und Gesang), die nicht nur Randfiguren sind, sondern Teil der Inszenierung.

Es wird einfach nicht langweilig, diesem ewig jung scheinenden und doch in die Jahre gekommenen Mann zuzusehen. Er zieht Grimassen und spielt verrückt, er füllt mit seinem warmen Bariton den Saal, er provoziert und schockiert und er berührt mit großer Einfühlsamkeit - nicht nur in seinen Liedern: Als eine Besucherin in den ersten Minuten wegen eines Schwächeanfalls aus dem Saal gebracht werden muss, ruft er ihr hinterher: „Wir laden Sie zu unserem nächsten Konzert ein.“ Und das Publikum fordert er auf: „Lasst uns eine Minute ganz fest an sie denken, dann geht es ihr gleich besser.“

Sanft und kraftvoll, naiv und altersweise, clownesk und seriös - zwischen diesen Polen bewegt sich die besondere Kunst des Herman van Veen. Und damit bewegt er immer wieder seine Fans, die ihm mindestens genau so lange treu sind, wie er auf der Bühne steht („Seit 1968 sind vierzig Prozent unseres Publikums gestorben. . . Sie haben Glück gehabt“). Deshalb lassen sie ihn auch nach knapp zweieinhalb Stunden und einigen Zugaben nur ungern ziehen - ein Abend mit ihm ist einfach zu schön.

Gut zu wissen, dass er nicht vorhat, in Rente zu gehen, sondern in spätestens vier Jahren wieder in die Stadthalle kommen will. Versprochen.



Markus Möhl