Kieler Nachrichten
Hannes Hansen
Kieler Schloss den Clown und Philosophen

Nie ganz zu fassen
5 feb 2010

Jetzt gastiert der fast 65-jährige Niederländer wieder einmal in Kiel, und im Schloss hatten sich am ersten von drei Abenden seine treuen Anhänger, großen Teils aus ähnlicher Altersgruppe, eingefunden. Fest entschlossen, seine seit Jahrzehnten in immer neuen Varianten erprobte Bühnenshow quer durch alle Genres des Kabaretts und Chansons zu feiern, wollten sie ihn und seine Kollegen auch nach fünf Zugaben noch nicht in die kalte Winternacht entlassen.

Mitgebracht hatte der multitalentierte Entertainer den Pianisten Erik van der Wurff, seinen Begleiter seit auch schon über 40 Jahren, der mit unbewegtem Buster-Keaton-Gesicht und lichtem, gleichwohl wallendem Haupthaar den Wurzelzwerg und Waldschrat gab. Edith Leerkes zeigte sich als glänzende Musikerin auf der Akustikgitarre, und im Verein mit den ebenfalls sehr ausgeschlafenen Geigerinnen und Gelegenheitsclowns Jannemien Cnossen und Dorit Oitzinger sorgte sie dafür, dass Herman van Veen die nötige Unterstützung für seine Show zwischen Klamauk und großem Welttheater erfuhr.

Der Star des Abends aber war natürlich der Meister selbst. Er alberte und erzählte Witze, er hüpfte, scheinbar ischias- und bandscheibengeplagt, in grotesken Sprüngen über die Bühne und wechselte dann gleich darauf das Register, um in den schönsten Tönen von Liebe und Freundschaft zu singen. Ironisch gebrochen sang und erzählte er vom Alter, das auch ihm zu schaffen mache. Auf den abgeklärten Weisen folgte unvermittelt und übergangslos eine burleske Stripteasenummer, die nur ein ganz, ganz kleines bisschen peinlich war.

Ausgebufft, tausendfach erprobt, wohlbekannt und doch immer wieder überraschend Timing, Tempo- und Genrewechsel bei den einzelnen Nummern. Eben noch hampelt Herman van Veen als surrealer Zappelphilipp in einer grotesken Parodie klassischen Balletts über die Bühne, schon verblüfft er gleich danach mit zugespitzten Aphorismen à la „Sprech ich mit Gott, nennt man das beten. Spricht Gott mit mir, nennt man das Psychose.“

Dann wieder wird's gefühlig und beliebig: „Ob Allah oder Gott, Jesus oder Mohammed, man betet immer dasselbe Angstgebet.“ Wie wahr, wie banal. Aber wenn sich aus solchen Kalendersprüchen dann ein surrealer Albtraum entwickelt, der mit Wortwitz, tiefschwarzem Humor und einem gerüttelten Maß an menschenfreundlichem Zynismus seelische Abgründe spielerisch auslotet, dann verzeiht man sofort jede Seichtheit. Herman van Veen wurde zum Vergnügen des Publikums vom Philosophen zum Clown und wieder zurück vom Clown zum Philosophen. Nie ganz zu fassen, nie typologisch festzulegen ähnelt er selbst dem Gesamtkunstwerk, das er auf die Bühne stellt.