Weser Kurier
CHRISTIAN EMIGHOLZ

Ein Clown als Regenmacher:
Herman van Veen in der Glocke

2 mei 2010

Bremen. Es gibt sicherlich nicht viele Musiker, die sich auf eine Bühne stellen, und, ehe sie überhaupt zu singen beginnen, erst einmal Forderungen ans Publikum richten können, diese dann auch sogleich und höchst bereitwillig erfüllt bekommen. Herman van Veens Forderungen in der Glocke lauten: Regen machen, außerdem Gewitter, zuletzt Sonne. Letztere durch Geräusche darzustellen ist schwierig, wird aber durch kollektives Zwitschern symbolisiert.


Nach Probeläufen geht es dann los mit „Amsterdam". Das ist nicht etwa ein Cover von Jacques Breis ziemlich berühmtem Chanson, sondern ein neues Lied von van Veen, und, wenn man so will, eine Regenballade, bei der wir vorbei an Anne-Frank- Haus und Concertgebouw durch die niederländische Metropole flanieren, scheinbar unschuldig, wären da nicht die kleinen, bizarren Beobachtungen van Veens, wie die von einem Passanten, der gleich zweimal überfahren wird.

Das Publikum lässt es zum Lied beeindruckend in den Saal regnen, wären Regenschirme vorhanden, hätte man sie aufge- spannt. Noch schöner aber ist, dass diese einmal erfolgte Konditionierung - Pawlows Hund bellt fröhlich mit - den restlichen Abend über funktioniert: Fällt das Wort Regen, regnet es sogleich, was van Veen den Schabernack ermöglicht, aus der Haut zu fahren, als es regnet, obgleich er doch von Rehen schwadroniert hat - ein verzeihlicher Hörfehler bei seinem mitunter kurios dekonstruierten Deutsch.

Herman van Veen ist auch bei „Im Augenblick", wie sein aktuelles Programm heißt, geblieben, was er immer war: ein Clown, und zwar ein mal boshafter, mal poetischer. In einem Gespräch mit dieser Zeitung hat er vor Jahren sein Geheimnis preisgegeben, dass er nämlich Weißclown und Dummer August zugleich sei, also auf der einen Seite der Despot, der die Macht hat, auf der anderen der Unterdrückte, der sie scheinbar nicht hat. Im Spannungsfeld dieser zwei Seelen funktionieren seine Programme. So lässt er - ganz musikbegabter Weißclown - mitten im Spiel seine vier Begleiter in Posen erstarren, um erst einmal ausführlich mit seiner Frau zu telefonieren; als nächstes gibt er den immer zum Staunen bereiten Dummen August, dessen Zau- bertrick mit dem Tischtennisball überhaupt nicht funktioniert, bis es plötzlich dann doch Tischtennisbälle regnet.

Natürlich sind auch böse Kalauer und bittere Black-out-Gags zu finden, wie der vom Ehepaar, das sich nach 60 Jahren scheiden lässt („wir wollten warten, bis die Kinder tot sind") oder purer Blödsinn wie in den als Haiku angekündigten Zeilen „Ein Tag ohne Bier / ist wie ein Tag / ohne Wein". Auf der anderen Seite gibt es immer wieder höchst poetische Einfälle: Der Kontrabass bekommt ein Kind, nämlich Herman van Veens Geige, wozu das dicke Instrument, auf das eigentlich hätte verzichtet werden können (es gibt noch eine akustische Bassgitarre), aufwendig mit einer Tür versehen worden ist, oder das Blütenblatt der roten Rose, aus dem der Clown sich gegen Ende seine Clownsnase formt. Auch musikalisch pendelt der Abend zwischen diesen Spannungsfeldern, nämlich poetischen Liebesliedern hier und brüsk gesellschaftskritischen Beobachtungen wie bei „Köln Ehrenfeld" dort.

„Im Augenblick" ist ein Programm voller Rückblicke. Herman van Veen, erinnert sich an seine Eltern, an seine Jugend und die Schwierigkeit, die Erinnerungen zurückzuholen, da sich so vieles verändert hat. Es enthält auch Erinnerungen an die eigene Karriere, wozu van Veen auch seine kindlichen Erfolge als Sänger des „Ave Maria" (nun mit Kopfstimme) streift. Zu diesen Rückblicken gehört auch der Hinweis darauf, dass er mit seinem Pianisten Erik van der Wurff nun schon seit 45 Jahren gemeinsame Sache macht. So lange arbeitet er mit den drei übrigen Musikerinnen noch nicht. Erst kürzlich hinzugekommen ist die Geigerin Dorit Oitzinger, die auch noch singen kann. Deutlich länger gehören Jannemien Cuorsen (Geige, Gesang) und die Gitarristin Edith Leerkes dazu. Sie alle bilden ein schlicht fabelhaftes (kammer-)musikalisches Gespann, das immer auch auf die überraschenden Volten des Chefs gefasst sein muss. Gut zwei Stunden dauert der offizielle Teil, aber selbst als Herman van Veen „Ich hab' ein zärtliches Gefühl" zugibt, ist noch lange nicht Schluss. Erst als er ein Lied auf Niederländisch anstimmt, gibt sich das Publikum zufrieden. Es ist schwer, von Herman van Veen nicht berührt zu werden: Der 65-Jährige ist und bleibt ein großer Musikant und Clown.