Welt am Sonntag
Herman van Veen
Van Gaal ist einer wie Karajan 2 mei 2010

Von Herman van Veen

Wie dem Dirigenten wird Bayerns Trainer die Geschwindigkeit seiner Gedanken als Arroganz ausgelegt. Zu Unrecht, meint Herman van Veen


Ich weiss gar nicht, ob er es weiß, aber ich habe mit Louis van Gaal Fußball gespielt. Wir hatten da so eine Mannschaft, das war vor rund 20 Jahren. Ich war Mitte 40. Er war ein paar Jährchen jünger und befand sich zwischen zwei Karrieren: der als Spieler und der als Trainer. Ich habe Rechtsaußen gespielt, nicht mit dem größten Talent gesegnet, aber immer voll motiviert. Van Gaal spielte zentral und war damals verbal schon sehr aktiv. Will sagen: Er hat mir ganz klare Anweisungen gegeben, wo ich zu stehen und wohin ich zu laufen hätte. Ich habe in diesen Spielen sehr viel von ihm gelernt und hatte schon damals das Gefühl, dass dieser Mann ein guter Trainer werden könnte. Das ist er heute unzweifelhaft und darüber hinaus ein Freund im Geiste.

Dass dieser nun gemeinsam mit Landsleuten wie Arjen Robben, Mark van Bommel oder auch Ruud van Nistelrooy prägend für die Bundesliga ist, freut mich ganz besonders. Zum einen bin ich persönlich mit Deutschland sehr verbunden, ich bereise und bespiele das Land seit über 40 Jahren und habe unter euch Deutschen sehr viele gute Freunde gefunden. Zum anderen war es immer van Gaals Wunsch, einen Bundesligaklub zu trainieren. Seit er bei den Bayern ist, bin ich für die Bayern.

Da Holland zwar Fußballspieler von Weltklasseformat hat, aber im Klubfußball nicht mehr zu den Topnationen gehört, beobachten wir sehr genau die anderen Ligen. Früher sah man Italien, Spanien und England im Fernsehen, das war's. Jetzt ist auch die Bundesliga richtig präsent. Und so hat es uns Holländern sehr wehgetan, als van Gaal zu Beginn seiner Münchner Zeit in Deutschland so hart kritisiert wurde. Wir fanden das unfair und haben uns gedacht: Hört damit auf! Das ist einer der größten Trainer der Welt, gebt ihm Zeit. Wenn er die bekommt, gewinnt er schon Titel. Van Gaal genießt großen Respekt in Holland, und viele Menschen sind sehr stolz darauf, was er in München bewegt. Da spielt es auch keine Rolle, dass er einst als niederländischer Nationaltrainer keinen Erfolg hatte. Wir sind nicht nachtragend, das mag mit unserem Land zu tun haben: Wir haben keine Berge, freie Sicht, alles verweht, nichts klebt.

Ich habe gehört, dass er in Holland den Spitznamen "Eiserne Tulpe" haben soll. Das ist Quatsch. Wir wissen ja nicht einmal, was Tulpen sind. Es muss sich um ein reines Exportprodukt handeln. Genau wie Käse oder Holzschuhe.

Ob ich versuche, Sie ein wenig auf die Schippe zu nehmen? Ja. Und genau das tut van Gaal auch ab und zu. Er ist ein Mann mit viel Humor, ein Augenzwinkerer. Wenn er sagt, dass er arrogant sei, kann er das durchaus spaßig meinen. Und wenn er anschließend sagt, dass arrogant in Holland nicht so negativ besetzt ist wie in Deutschland, nun ja, dann ist das auch nicht ganz ernst zu nehmen. Arrogant ist arrogant. Auch bei uns.
Aber wenn er sich so bezeichnet, ist das vielleicht gar nicht verkehrt. Der Dirigent Herbert von Karajan konnte arrogant wirken. Er hatte eine sehr genaue Vorstellung von seinem Weg und keinerlei Zweifel, dass dieser der richtige sei. Er schlug dabei eine digitale Geschwindigkeit an, bei der wenige mithielten und die ihm teilweise als Arroganz ausgelegt wurde. Van Gaal ist ein bisschen wie Karajan. Ein Mann mit einer klaren Vision, einer, der sehr konzentriert und immer anwesend ist. Van Gaal lebt nicht ein bisschen, er lebt ganz.

Und wer in seinem Orchester spielt, kann sich seiner Loyalität sicher sein. Van Gaal sieht seinen Verein, seine Mannschaft als Familie; mit ihm als wichtigem Teil. Und für seine Familie sorgt man. Entsprechend persönlich ist er im Umgang. Van Gaal ist ein Mann des Dialogs. Was die Leute über ihn denken, was sie tagtäglich bewegt, ist ihm sehr wichtig.

Im vergangenen Herbst besuchte er mit seiner Frau eine meiner Vorstellungen in Amsterdam. Ich glaube, er hat den Abend sehr genossen. Danach haben wir uns unterhalten, kurz über die Musik, lang über Fußball. Ich bin ein Fußballfreak, er ist es auch. Dabei sind uns die vielen Parallelen zwischen unseren Berufen aufgefallen. Bei mir kann ein richtiger Ton, ein gelungenes Wort genauso ein Glücksgefühl auslösen wie bei einem Fußballer der Torschuss. Und auch ich muss mit meinem Team auf der Bühne harmonieren wie die Spieler auf dem Platz.

Die Bayern scheinen dies zu tun. Auch Arjen Robben, dieser fantastische und sympathische Fußballer, der einst gern mal für sich spielte, ist integriert. Mit seinen Haken, Sprints und Torschüssen verkörpert er so viel von dem, was schön ist am Fußball. Und wir alle freuen uns, dass sein Körper dem Talent endlich standhält, dass er nicht immer und immer wieder verletzt ist. Auch deshalb war der Gang nach Deutschland ideal. In Spanien oder Italien knallen dich die Verteidiger gleich nach Walhalla, wenn du an ihnen vorbeigehen willst.

Dass er das Champions-League-Finale in Madrid bestreiten darf, an jenem Ort also, von dem er vor der Saison weggeschickt wurde, ist für ihn bestimmt doppelt schön.

Und wer weiß: Nachdem die Bundesliga oranje war, wird es die WM ja vielleicht auch. Vorstellen können wir Holländer uns das traditionell alle. Die Spieler dazu haben wir allemal, wie gerade die deutschen Fans wissen - van Bommel zum Beispiel habe ich noch nie so gut spielen sehen wie jetzt bei den Bayern. Und vielleicht segelt ja bald auch die deutsche Nationalelf unter orangefarbener Flagge. Van Gaal hat ja so manchem Fan einen Schrecken eingejagt, als er sagte, er würde gern deutscher Bundestrainer werden. Da wollte er Euch, nehme ich an, nicht auf die Schippe nehmen. Wir Holländer hätten damit jedenfalls kein Problem, und Ihr solltet es auch nicht haben - denn wenn van Gaal Bundestrainer wird und diese Spieler zur Verfügung hat, wird er mit Deutschland auch alles gewinnen. Das ist völlig klar.