KN-online
Jörg Meyer
Herman van Veen an drei Abenden im Kieler Schloss 2 februari 2010

Wo Künftiges zügig und unaufhaltsam auf Gewesenes zufällt, knistert das Jetzt. In jeder Sekunde erreichen wir das nie Erreichte.
Wir leben permanent im Präsens - es dehnt sich nur in unendliche Längen. Denken und Erleben bleiben gewissermaßen dauerhaft der Momentanbedrängnis verhaftet, die Allgegenwart ist der unhintergehbare Ausgangspunkt aller Fluchtlinien. „Im Augenblick“ heißen das neue Programm und das aktuelle Album von Herman van Veen, einem der bekanntesten Liedermacher in Deutschland.



Der Titel der Platte verweist dabei auf sich selbst. Er verknüpft zwei Bedeutungen miteinander. „Im Augenblick“ lässt sich zum einen als Verortung in der Zeit begreifen: Momente als Räume, Zeitnischen, in denen sich Gefühle auffalten und ausdehnen können, in denen ganze Gedankengebäude und Gedächtnispaläste errichtet werden, aber auch einstürzen können. Zum anderen kann es sich auch um eine Situation, ein Ereignis handeln, das von einem aufmerksamen Betrachter in den Fokus genommen wird - so steht das beobachtete Geschehen im Blick des interessierten Augen-Zeugen.

Das passt auf Herman van Veen, der bereits als überdurchschnittlich fantasiebegabtes Kind „an der Welt vor dem Fenster wesentlich mehr Interessantes zu finden wusste als im Unterricht“. Mit Sprachwitz und Sinn für Wortspiele erzählt er singend, was er sieht und fühlt. Aus Nebensächlichkeiten, Gedankenfetzen und scheinbar belanglosen Impressionen macht er emotionale und bedeutende Erlebnisse, so dass das Publikum zwischen heiterer Ausgelassenheit und Melancholie hin und her pendelt. Gleichzeitig handelt es sich bei dem Album um eine Sammlung aus Lebensrückblenden und weitblickender Vorausschau.

Begleitet wird Herman van Veen wieder von seinem langjährigen Freund und Bühnenpartner Erik van der Wurff am Flügel, von seiner barfüßigen Gitarristin Edith Leerkes und von Jannemien Cnossen, die mit ihrer Geige und ihrem Gesang beeindruckt. Der Untertitel zum Album lautet übrigens „Weißt du, was ich auch nie weiß“ und ist einem Gedicht der niederländischen Schriftstellerin Judith Herbergs entlehnt. Die Zeile wirft die Frage auf, ob es sich um einen Übersetzungsfehler handelt, denn immerhin ist Herman van Veens Muttersprache Niederländisch, oder um ein bewusst gewähltes Paradoxon - vielleicht sogar in Bezug auf Sokrates' berühmten Ausspruch „Ich weiß, dass ich nichts weiß“.