KleineZeitung
Manuela Swoboda

Warum...
... haben ausgerechnet junge Menschen
die Nase voll von der Politik, Herman van Veen?

1 mei 2010

DAS FEIERTAGS-INTERVIEW


Osterreich zerbricht sich derzeit den Kopf darüber, warum so wenig Menschen wählen gehen. Besonders die Jugend interessiert sich kaum noch für Politik. Wie sehen Sie das?
HERMAN VAN VEEN: Das sagt aber mehr über die Politik aus als über die jungen Leute. Wenn sich die Politik nicht für die Jungen interessiert, wieso sollten sie sich dann für diese Politik interessieren? Und Widerstand spielt sich heute nicht mehr auf der Straße ab, sondern in den Internetforen.

Wie erhalten Sie sich diesen optimistischen Blick auf die Welt?
VAN VEEN: Realistischen! In den Niederlanden hatten wir 65 Jahre keinen Krieg: Das ist in der holländischen Geschichte noch nie vorgekommen: Europa ist ein Segen. Die Menschen realisieren auch nicht, wie phänomenal reich Europa ist. Was auch damit zusammenhängt, dass die Grenzen gefallen sind.

Ist das der Segen der EU?
VAN VEEN: Natürlich. Der Rhein beginnt nicht an unserer Grenze. Grenzen sind für Idioten. Das ist Steinzeit.

Und was zeichnet unsere Zeit besonders aus?
VAN VEEN: Das digitale Zeitalter. Die Revolution in der Kommunikation. Dass man weltweit innerhalb einer Millisekunde miteinander reden kann, ist enorm.

Kann der Mensch mit diesen Möglichkeiten überhaupt Schritt halten? Verkraftet er das?
VAN VEEN: Der Mensch ist in der Lage, sehr schnell zu lernen, das beweist die Evolution. Ich setze großes Vertrauen in die Jugend. Da kommt eine Generation, die superinteressant ist. Die ist nicht so festgefahren in ihren Anschauungen. Ich spüre das in den Schulen, in den Universitäten.

und doch sind auch die Jungen nicht gefeit vor Populismus. Europa, das zeigt sich bei vielen Wahlen, rückt nach rechts. Gegen Einwanderer wird gehetzt, der Sozialneid wird geschürt. Warum funktioniert das?
VAN VEEN: Das läuft immer so, wenn die Zeiten schlechter werden. Die ökonomische Krise spielt eine große Rolle. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Menschen sind frustriert und werden noch dazu doppelt missbraucht:
Erstens von den Banken, die ihre Schulden begleichen müssen und das auch auf Kosten der Ärmeren machen. Zweitens von gewissen Politikern, die den Menschen Dinge versprechen, die sie niemals halten können.

Der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders und seine Partei fahren gut damit. Islamophobie zieht. Bei den Kommunalwahlen wurde seine PW zuletzt stärkste Kraft. In Den Haag, just dort, wo der Menschenrechtsgerichtshof steht, kam sie auf den zweiten Platz. Macht das Angst?
VAN VEEN: Nicht mehr. In den Um fragen liegen die Rechten nicht mehr so gut, seit die Sozialdemokraten den populären Ex-Bürgermeister von Amsterdam, Job Cohen, als Spitzenkandidaten haben. Das ist ein intelligenter, charismatischer Politiker, der Leute wie Wilders entzaubert.

Am 9. Juni wählen die Niederländer ihr neues Parlament - Sie rechnen also nicht mit einem Rechtsaußen-Gruselkabinett?

VAN VEEN: Nein, unmöglich. Es treten auch immer häufiger Menschen vor, die daran erinnern, wohin Ausländerfeindlichkeit und Menschenhatz geführt haben. Ich bin nicht allein.

Sie erhielten nach Ihren Warnungen vor Demagogie und Populismus sogar Morddrohungen?
VAN VEEN: Ja, ich war erschüttert. Man weiß nicht, wie man damit umgehen soll, vor allem, weil es so viele waren.

Hatten Sie Personenschutz?
VAN VEEN: Ja.

Jetzt auch noch?
VAN VEEN: Nein.

Weil Sie lässiger, vielleicht auch nachlässiger geworden sind?
VAN VEEN: Nein, ich sehe keinen Grund mehr. Die Lage in den Niederlanden hat sich verbessert. Die Vernunft ist zurück. Die Morddrohungen waren unglaublich beängstigend, und ich hoffe, dass ich diese Erfahrung abhaken kann.

Die Niederlande waren immer besonders liberal. Ist es vielleicht nur logisch, dass das Pendel auch in die andere Richtung ausschlägt?
VAN VEEN: Ich weiß es nicht, vielleicht. Sicher ist, dass sich enorm viele Menschen öffentlich geäußert haben, als sie merkten, dass die Rechten immer stärker werden, wenn ihnen nichts Kraftvolles entgegengehalten wird.

Warum sind Künstler so häufig auf der linken Seite der politischen Skala zu Hause?
VAN VEEN: Ich weiß nicht, ob ich links bin. Ich bin ein Demokrat. Ich bin dort, wo mehr möglich ist und wo auch die Schwachen in der Gesellschaft eine Stimme bekommen. Für mich hat oberste Priorität, dass der die meiste Hilfe bekommen soll, dem es am schlechtesten geht. Ich sehe keinen anderen Weg im Leben als den, dass wir uns kollektiv für den interessieren und dem helfen, dem es schlecht geht.

Wenn die Zeiten schlechter werden, scheint das weniger zu greifen. Nicht selten geht es dann besonders gegen die Schwächsten, gegen Minderheiten. In Holland sind es dann die Afrikaner, in Ungarn die Roma, in Österreich Menschen aus der Türkei und dem ehemaligenfugoslawien - und gegen Muslime geht es sowieso. Warum?
VAN VEEN: In guten Zeiten werden gern Fremdarbeiter ins Land geholt, weil sie dankend die schlechtere Arbeit annehmen. In Holland war das eine Zeit lang auch mit den Italienern so, mit Portugiesen, mit Indonesiern. Wir haben die Situation jetzt massiv mit den Polen. Man braucht nur einen Blick in die holländische Blumenindustrie werfen, da sind fast nur Polen beschäftigt. Aber sobald es wirtschaftlich abwärtsgeht und auch die Inländer auf diese sogenannten niederen Jobs angewiesen sind, werden sie zu Feindbildern.

Vielleicht auch, weil die Politik keine adäquaten Konzepte anbietet, um auch den Boden für diese ständig wachsende multikulturelle Gesellschaft zu schaffen?
VAN VEEN: Ich habe gesungen über Köln-Ehrenfeld, wo es klappt, Berlin, Amsterdam...

Aber was ist mit den Banlieues in Frankreich?
VAN VEEN: Das hat mit Integration nichts zu tun. Und was heißt schon ständig wachsende multikulturelle Gesellschaft? Nehmen Sie mich als Beispiel, einen 65- j ährigen Holländer: mein Vater aus Friesland, sein Vater aus Friesland. Die Mutter ein jüdischer Flüchtling aus Deutschland. Der andere Opa aus Nordfrankreich. Ich bin ein ... Apfel- mus! Und es gibt keinen Holländer, der das nicht ist.

Arbeitslosigkeit, Hunger, wenig Perspektive waren der Nährboden für den Nationalsozialismus. Könnte also jederzeit wieder passieren, oder?
VAN VEEN: Exakt, es ist immer der gleiche Mechanismus. Solange das ökonomische Denken mehr Gewicht hat als das soziale Denken, läuft es in diese Richtung.

Aber eine nicht funktionierende Wirtschaft ist auch ein Nährboden für sozialen Unfrieden. Siehe Griechenland.
VAN VEEN; Wir brauchen eine schrumpfende Ökonomie statt einer Wirtschaft, die immer weiter wächst.

Das hat der Club ofRome in den 70ern schon gefordert: Weniger ist mehr. Passiert ist das Gegenteil.
VAN VEEN. Wir brauchen eine ehrliche Verteilung von Besitz. Wir brauchen eine ethische Revolution: Wenn wir die Art und Weise beibehalten, wie wir Energie kreieren, wird das Leben unbezahlbar. Aber es gibt eine Lobby, die will, dass wir vom Erdöl abhängig bleiben. Nur sollte man sich immer vor Augen führen, dass ein Totenhemd keine Taschen hat. Die alte Ökonomie, das ständige Wachsen, ist passe.

Sie setzen sich ein Leben lang für Kinder und deren Rechte ein, sind auch UNICEF-Botschafter. Hat sich die Lebenssituation für die Jüngsten verbessert?
VAN VEEN: Nicht genug, wenn man bedenkt, dass Millionen Kinder ihren fünften Geburtstag nicht erleben. Ich sehe in Soweto aber auch Spitäler und Schulen, die funktionieren. Kleine Projekte, das klappt. Man muss die Menschen selber machen lassen und hellen, wo sie Hilfe brauchen. Wenn man als Industrienation seine Ideen den Menschen in Entwicklungsländern überstülpt, klappt es nicht, weil man dadurch eine ökonomische Abhängigkeit schafft. Nelson Mandela hat das „umgekehrte Kolonisation" genannt. Wer helfen will, sollte den Empfänger entscheiden lassen, wie die Hilfe aussieht.



INTERVIEW: MANUELA SWOBODA