Welt am Sonntag
Harald Peters
"Ich war früher ein Apfel" 20 dec 2010

Als ewig Staunender und schrulliger Poet verzückt Herman van Veen sein unermüdliches Publikum. Dabei will er eigentlich Lösungen für die Probleme der Welt finden


Herman van Veen scheint nicht zu altern. Beim Interviewtermin in einem Berliner Hotelzimmer sieht der freundliche, 64-jährige Holländer noch exakt so aus, wie man ihn in Erinnerung hatte - selbst wenn die Erinnerung sehr alt ist. Bekannt wurde er in Deutschland Anfang der 70er-Jahre mit dem Schlager "Ich hab ein zärtliches Gefühl", Ende der 70er-Jahre war er dann in der Kinderserie "Die seltsamen Abenteuer des Herman van Veen" zu sehen, in der er mit einer Windmühle umherflog. Derzeit ist van Veen mit seinem neuen Album "Im Augenblick" auf Tour. Welt am Sonntag: Herr van Veen, haben Sie eigentlich jemals in einer Windmühle gelebt?

Herman van Veen: Nein, nein, die Windmühle wurde extra für die Serie hergestellt. Aus sehr dünnem Holz war die gebaut, und fliegen konnte sie auch nicht.

Welt am Sonntag: Wie schade.

van Veen: Ja, es gibt sehr schöne Windmühlen.

Welt am Sonntag: Um einen anderen ungewöhnlichen Wohnort geht es in Ihrem Musical "Ein Tag im September", das kürzlich in Detmold Premiere hatte: das Hermannsdenkmal.

van Veen: Ja, das war eine Auftragsarbeit zur Varusschlacht. Da bin ich erst einmal nach Detmold gefahren, um zu gucken, um erzählt zu bekommen, was da eigentlich stattgefunden hat. Denn Detmold war mir kein Begriff, und von diesem Arminius hatte ich auch noch nie gehört. Also hab ich mir da alles ein bisschen angesehen.

Welt am Sonntag: Und was haben Sie entdeckt?

van Veen: Die Möglichkeit, eine andere Geschichte als die der Varusschlacht zu erzählen, aber eine, die die gleichen Puzzleteile enthält. Denn die Varusschlacht ist für mich eher so eine Asterix-Geschichte. Meine Geschichte findet statt nach dem Zweiten Weltkrieg und handelt von einer jüdischen Frau und ihrer Tochter, die sich im Kopf des Arminius, also im Hermannsdenkmal versteckt haben.

Welt am Sonntag: Wie groß ist der Kopf denn?

van Veen: So groß wie dieses Zimmer. Da drin hat man Ruhe, man hat einen schönen Blick. In dem Kopf begegnen Mutter und Tochter einer Schnee-Eule, die auch in dem Kopf wohnt. Das Mädchen freundet sich mit der Eule an, und als der Krieg vorbei ist, hilft die Eule ihr bei der Suche nach dem Vater. Und der Vater kommt tatsächlich aus dem Krieg zurück, aber ist nicht mehr in der Lage zu denken. Der ist total leer. Der kann nicht erklären, was er erlebt hat. Aber die Eule gibt dem Mädchen Rätsel auf, durch die der Vater geheilt werden kann. Es ist eigentlich ein lehrreiches Märchen über eine unmögliche Statue.

Welt am Sonntag: Was lernt man?

van Veen: Dass Krieg das Allerschlimmste ist, in meinen Augen die schlechteste Lösung, die man sich denken kann.

Welt am Sonntag: Wie ist man in Detmold auf Sie gekommen?

van Veen: Ich war auch überrascht. Vielleicht hatten die eine Idee, wie ich das Thema angehen würde. Für einen Deutschen ist es eine andere Geschichte, aber ich bin ja kein Deutscher. Ich denke, dass man da Möglichkeiten gesehen hat. Und die kennen natürlich auch meine Herangehensweise, so zu tun, als ob etwas nicht politisch wäre.

Welt am Sonntag: Mit Ihrer Ente Alfred Jodocus Kwak haben Sie auch eher schwierige und schwere Themen unterhaltsam und leicht umgesetzt.

van Veen: Ja, das ist auch das, was mir an Alfred Jodocus Kwak gefällt. Es gibt inzwischen 52 oder 60 Geschichten, die große Themen behandeln, ohne dass man den Eindruck hat, dass es große Themen sind. Es gibt zum Beispiel zwei Geschichten über Aids, aber darin spreche ich nicht über Aids, sondern über Mosonen. Das sind Monster im Blut, die miteinander kämpfen. Und Alfred macht sich große Sorgen, denn er verliert viele Enten. Er ruft bei Professoren an, die er kennt, und reist um die Welt, um eine Lösung zu finden. Es gibt Geschichten über Apartheid, über Diktatoren in Südamerika, über Kommunisten, über Kapitalisten. Und das große Geheimnis von Alfred ist das Wort "warum", er fragt immer: "Warum?" Und hört nicht damit auf. Er fragt den König: "Warum?" Der König: "Keine Ahnung, da müssen Sie meinen Minister fragen." "Minister, warum?" Der Minister: "Ich weiß nicht, ich bin gewählt." Und so geht das immer weiter, bis zum Nullpunkt.

Welt am Sonntag: Und dann?

van Veen: Wenn er am Nullpunkt ist, dann fängt er an, über die Lösung nachzudenken. Es gibt auch eine Geschichte über den israelisch-palästinensischen Konflikt. Sie handelt von dem Krieg zwischen Schafen und Ziegen. Alfred denkt nach und findet die Lösung. Das Schaf hat eine schöne Tochter und die Ziege hat einen super Sohn. Also manipuliert er Liebe.

Welt am Sonntag: Das hilft?

van Veen: Das hilft total. Die zwei finden einander total lieb. Und Alfred tut so, als ob er nichts getan hätte, und watschelt davon.

Welt am Sonntag: Warum diese Herangehensweise?

van Veen: Insgeheim, aber das dürfen Sie natürlich nicht weitererzählen, weil ich das Problem natürlich lösen will. Ich will es lösen. Ich biete eine Idee an. Ich habe heute mit Freude und auch ein bisschen Gänsehaut in der Zeitung gelesen, dass die Unicef, für die ich schon ewig lange arbeite, endlich kapiert hat, dass sie politische Vorschläge machen sollte, mit denen man Regierungen zwingen sollte, Kinderrechte ins Rechtssystem einzubringen. Nicht als Ziel, als Intention oder Idee, sondern als buchstäbliches Recht. Dass man keine politische, keine ökonomische Entscheidung fällen darf, wenn sie mit den Kinderrechten in Konflikt kommt. Ich bin sehr froh, dass man bei der Unicef endlich bereit ist, einen anderen Weg zu gehen als den freundlichen Weg via Bürgermeisterfrauen. Dass man endlich einsieht, dass Kinderrechte eine Pflicht sind, dass sonst Sanktionen drohen.

Welt am Sonntag: Versuchen Sie mit Ihrer Musik, den Kindern die Welt aus ihrer Perspektive nahezubringen?

van Veen: Es geht um Kinder und Greise, aus deren Perspektive sind meine Stücke erzählt. Die Zeit dazwischen ist ein Durcheinander, das willst du nicht wissen.

Welt am Sonntag: Weil Kinder alles noch voller Neugier vor sich haben und ältere Leute gelassen zurückblicken können?

van Veen: Ja. Neulich hatten wir ein Konzert und da war ein kleiner Junge da, vielleicht vier Jahre alt, seine Eltern hatten ihn mitgeschleppt. Und nach dem Konzert kommt der Junge zu mir und bleibt bei mir. Nimmt meine Hand, als ob ich ihn schon seit Ewigkeiten kenne. Und da sag ich zu ihm: "Ich war früher ein Apfel." "Echt?", sagt der Junge. Ich sag: "Ja. Und den Apfelsaft, den du jetzt trinkst, das war meine Familie." Und plötzlich sah man in dem Gesicht des Jungen, was sich in seinem Kopf tut. Die Großeltern haben sofort mitgespielt, aber die Eltern meinten: "Onkel Herman macht einen Witz." "Nee", sag ich, "ich war ein Apfel."

Welt am Sonntag: Wissen Sie, was Kinder an Ihren Shows gefällt?

van Veen: Das hoffe ich. Es gibt zum Beispiel den Moment, wo ich dem Publikum erzähle, dass ich Opa geworden bin. Da kommt dann mein gesamtes Personal auf die Bühne und gratuliert mir. Jemand schenkt mir zwei Ballone. Einen Ballon verliere ich, der fliegt davon. Ich find das schade, aber ich hab ja noch einen anderen Ballon. Und den setz ich auf die Bühne und sage: "Du bleibst stehen!" Das tut er dann auch. Und während ich mit dem Programm fortfahre, überlegen Kinder: Wie ist das möglich? Die hören die Lieder gar nicht mehr. Das finde ich schön.

Das Gespräch führte Harald Peters