Die Welt
Stefan Krulle

Der gute Mensch von nebenan

Hermann van Veen beweist mit seinem Programm in CCH erneut seine einmalige Vielseitigkeit

5 december 2009

Neulich, in einer von gefühlten tausend Talkshows im TV, hat irgendwer doch tatsächlich gefragt, ob der Mensch Kultur noch brauche. Was Kultur eigentlich ist oder doch zumindest sein könnte, das hat er vorsichtshalber nicht gefragt. Unser Fremdwörterlexikon gibt als erste von drei möglichen Definitionen die folgende: "Aufzucht von niederen Lebewesen auf besonderem Nährboden". Das scheint dem, was uns seit geraumer Zeit als Kultur verkauft wird, gefährlich nahezu kommen. Und niemand, so wundert man sich, legt dagegen noch sein rigoroses Veto ein.


Zu Kiezmerklängen und Piano ließ van Veen, der sich der Einfachheit halber schon lange nur noch Herman rufen lässt, feingeistige Lieder über das Miteinander mindestens dreier Generationen vom Stapel, welche er immer wieder mittels kleiner Sottisen unterbrach. Dann las er etwa (vermutlich fingierte) Abschiedsbriefe des eigenen Sohnes vor, der sich schon mit zehn aus dem unerträglichen Elternhaus abmeldete mit den Worten "Ich gehe zu Oma. Für immer. Bis gleich". Er ließ ein Ehepaar sich nach gut 60 Jahren Ehe scheiden, das auf des Standesbeamten verständliches "Warum?" antwortete:
"Weil wir warten wollten, bis unsere Kinder tot sind". Das vernehmliche
"Ohohoh" aus dem Auditorium wird nicht das letzte des Abends bleiben.

In der angesichts momentaner Verhältnisse staunenswert unpolitischen, ersten Hälfte seiner Show setzt van Veen ganz auf den Faktor Mensch und dessen Irrungen in einer Zeit, die ausgerechnet der Menschlichkeit keinen Raum mehr lässt. Er berichtet von "fröhlicher, leicht nach links gebogener Morgensteifigkeit" eines imaginären Probanden und singt sodann "Du bist schön, nicht schöner". Er spielt eine unglaubliche Panflöte, ohne eine Panflöte in der Hand zu halten, er spricht von Oma und Mutter und Tochter und auch davon, weshalb er als Sohn atheistischer Eltern einst in der Kirche das Ave Maria sang. Er singt es dann auch hier, mit der Stimme eines Zwölfjährigen. Dem folgt der erste Tribut ans politische Jetzt, als van Veen "ob Allah, Gott, Jesus, Mohammed, was man hier sieht, ist der gelebte Unterschied" singt.

In Halbzeit zwei werden van Veens Geißelschläge dann doch heftiger. Von einem Albtraum letzte Nacht berichtet er, "ich träumte da, ich sei in der Schweiz", dann erzählt er wieder aus seiner Kindheit, da er als Knabe mit den Händen vor den Augen am Abhang stand und immer wieder die Worte "spring, Junge!" seines Vaters vernahm. Irgendwann traute er sich, und der Vater fing ihn auf. "Solange uns die Kinder nicht vertrauen können", sagt Herman van Veen, "solange geht es uns nicht gut." Sein zärtliches Gefühl, das er vor langer Zeit besang, hat er sich mehr als nur erhalten, noch immer traut man ihm zu, notfalls jede menschliche Bestie mit drei, vier Worten besänftigen zu können. <TITLE> Sentimental wird der 64-Jährige dabei nie, kurz vor jedem Gefühlsdusel dreht er in gewagter Halse ab in die Komik, die seinem Publikum auch die beste, aber leider fast unbeschreibliche Nummer des Abends liefert. Als Festredner begrüßt van Veen uns da als "Freunde der Musik", tolpatscht in der Motorik Adriano Cefentanos über die Bühne und redet mit der kollabierenden Stimme Erich Honeckers, der dem Gröfaz das Drogenköfferchen gestohlen hat. Ein Kabinettstückchen ohne jede Konkurrenz. Von einem, der nicht das Zeug zum Gutmenschen hat, weil er einfach nur einguter Mensch sein will.