Alexander Huber schrieb am 08.12.2001 in der Braunschweiger Zeitung

Vom kalten in den warmen Regen



Tat fast weh und tat so gut: Herman van Veen in der Braunschweiger Stadthalle

Gerne würde ich etwas Ergreifendes schreiben, etwas, das in Worte fasst, was ohne Worte ist. Aber der schönste, der rührendste Salz, den man über Herman van Veen und die Musik und die Welt im Allgemeinen sagen kann, ist, wie alles Wahre, schon gesagt worden. Samuel Beckett hat ihn in die Welt gesetzt, und hätte er es nicht getan, ein anderer, kluger und empfindsamer Kopf wäre drauf gekommen, beim Hören mit dem Herzen, Van Veen druckt ihn im Programmheft ab und reicht dem Bruder Beckett im Geiste die Hand: "Wenn du, bis zum Hals in der Scheiße steckst, bleibt dir nichts übrig, als zu singen." Das ist es.

Als trauriger Poet kam van Veen in die Welt, als hohnlachender Clown bietet er dem Absurden und

Bösartigen die Stirn. Die Stimme, der Mann, die Fiedel in der Hand. Kein Lichtspektakel, kein Bühnenzinnober, nur er, seine Band, die Musik. Seit Jahren und Jahrzehnten schon. Resistent gegen Retorten-Chartstürmer. Immun gegen Eventgequatsche und, fast, gegen das notorische Mitklatschen der Spaßjunkies. Das ist seine Kunst nicht: Musik ohne Gedanken. Mit Leben ist van Veen imprägniert, mit viel Leid und viel Freud. Das macht ihn so glaubwürdig, und entziehen kann man sich dem kaum. So schlicht, so unverschämt einfach und schön sind seine Lieder, dass es fast weh tut.

Wenn der Schmerz unerträglich wird, singt er, dann komm, ich nehm dich in den Arm und streichle dir über den Kopf, und er streichelt, mit einem Lächeln, sich selbst über den Kopf. Meine Bewunderung, singt er, gilt dem lieben Gott, der Farben liebt und die Welt so bunt malt, auch wenn es ihn gar nicht gibt. Und weil der Ernst allein eine Zumutung ist, macht er, mit wasserblauen Augen, rasch einen Witz. Papa, schau, wie groß der Mond ist. Mein Schatz, vor dem Krieg war er noch viel größer. Vom kalten in den warmen Regen.
Famose Musiker hat van Veen dabei, nur zwei seien erwähnt: Edith Leerkes, die mit grandioser Technik ihrer Gitarre spanisches Feuer abgewinnt, und Wieke Garcia, die von Harfe über Trommel bis Dudelsack anscheinend alles beherrscht. So reitet man quer durch die Stile von Walzer bis Klezmer und , ja, einem afrikanischen Kralstanz, gelangt aber immer wieder zum Chanson, das van Veen als Nachfahre Jacques Brels gibt. Ein mehr als respektabler Bariton mit, immerhin, 56 Jahren.

Ein bisschen Show gibt es schon, aber im ersten Teil sind die Wechsel zwischen todtraurig und himmelhochjauchzend perfekt getimt. Einen Regenschirm ohne Stoff klappt er auf, singt inbrünstig und lässt am nackten Gestell kleine Lampen blinken. Pathos geht nur mit genug Oberfläche. Im zweiten Teil gerät er etwas aus der Balance. Zu viele Gags, zu viel Klamauk. Schon die Opernparodie vor der Pause dauert arg lang, auch, dass van Veen Operngesang mit Bachschen Vokalisen verulkt, wundert, da der treue Protestant doch gar keine Oper geschrieben hat. Die Unterhose, die er aus der Wäsche zieht und nachher auf dem Kopf trägt? Na ja. Auch die Wasserdusche fürs Parkett hätte zu Hape Kerkeling gepasst. Und das, was er als Improvisation ausgab, war eindeutig abgekartet, und was man merkt, stört halt. Dass er kleine Predigten des Gutmenschen einstreut? Ja, das darf sein, wenn danach der Narr wieder die Kappe überzieht. Bei seinen rund zehn Zugaben fand van Veen dann wieder zurück zur Heiterkeit mit einer Träne im Auge. Drei Stunden. Tat das gut.