ng schrieb am 08.11.2005 in der Rhein-Zeitung Siegen


Hut ab!: Der lustige Skeptiker ist immer noch sexy und brillant!


Siegerlandhalle: Herman van Veen nach 43 Bühnenjahren in Bestform - Frische Lieder und fantastische Partner - Publikum war begeistert


SIEGEN. Die Boxen kreischen, die Lautstärke ist an der Schmerzgrenze. Der Mann, der sich zuckend auf dem Bühnenboden windet, drischt unbarmherzig auf seine Gitarre ein. Dann humpelt er ans Mikro und brüllt in das selbst erzeugte Saitengekreische hinein: "Ich ... hab'... ein... zärtliches... Gefüüüühl!"

Eine so gnadenlose Zerfleischung des eigenen Hits kann sich nur einer erlauben: Herman van Veen, der universelle Holländer, Clown, Schauspieler, Sänger, Narr. In der ausverkauften Siegerlandhalle zelebrierten er und seine fünf wunderbaren Musiker ihr aktuelles "Hut ab "-Programm mit so viel Wärme und Lebenslust, dass die Zuhörer sich gar nicht mehr trennen wollten: Eine gute Dreiviertelstunde dauerte allein der Zugaben block - und das nach vollem Zwei-Stunden-Programm. Am Ende kamen die älteren Perlen: "Anna" oder "Ich lieb' dich noch". Der 60-Jährige muss und will niemandem mehr etwas beweisen; er wirkte ungemein souverän. Sein Programm war wie eine große Ernte. Viel Frisches gab es da zu hören, zu sehen, zu fühlen, alles aus jenem künstlerischen Garten, den van Veen seit 43 Jahren pflegt und hegt. Überall Klezmer-Anklänge; sein immer schon virtuoses Geigenspiel wirkte perfekt aufpoliert. Es schien, als sauge er jede Menge Inspiration aus dem staunenswerten Können seiner jungen Mitakteure: Das waren der Russe Alex Fatejew, ein leidenschaftlicher Akkordeon-Meister, die elegische Geigerin Jann und die wunderschön klingende und aussehende Sängerin Wieke Garcia, die auch trommelte und an der Harfe brillierte.

Ein Star, also eine von außen definierte Show-Größe, war van Veen nie. Er ist Künstler, er definiert sich selbst -heute differenzierter denn je. Wenn er seine Violine aus dem Bauch des Kontrabasses holt, ist das ebenso absurd wie wunderbar. Wenn er über das nächtliche Fortpflanzungs-verhalten von Tischtennisbällen meditiert, lässt er Hunderte davon auf den Bühnenboden kullern.

In all der poetischen Leichtigkeit gab es aber mehr dunkle Farben als in früheren Jahren. "Geh zur Armee, reise in fremde Länder, triff interessante Menschen und töte sie" oder "In keinem Land heißen Sand oder legt Minen, das sind die Menschen" - er setzte "verrückte" Maßstäbe zurecht und stellte die richtigen Fragen: "Väter, die sich Christen nennen oder Moslems, was haben euch die Kinder denn getan?" Apropos Gott: "Wenn ich zu Gott rede, nennt man das Beten", grübelte der Sänger-Poet, "aber wenn er zu mir spricht, nennt man das Psychosen."

Das Publikum spielte wunderbar mit: Kurz nach einem Sketch über die erotische Ausstrahlung des "homo hollaniensis" beispielsweise rannte eine attraktive junge Dame mit einer einzelnen Rose zur Bühne, an der ein Zettel mit Botschaft hing, die der Sänger mit großem Vergnügen vorlas: "Ich finde euch doch sexy." (ng)