Ute van der Sanden schrieb am 08. Oktober 2002 in der Zeitung Neue Westfälische

Schönes Geschenk mit einer viel zu dicken Schleife



Herman van Veen sang wirklich alles, was den Fans singen wollte - und noch mehr

PADERBORN.
Das "letzte Lied" ist längst gesungen, doch der brodelnde Saal gibt keine Ruhe. Er verlangt Zugabe um Zugabe, bis Herman van Veen endlich das "allerletzte Lied" nachträgt: "Anne". Und wie er da steht, hemdsärmlich und mit dem Textbuch in der Hand, wie er von seinem zweijährigen Enkel erzählt, der Elektriker werden wird und ihn Opa Traktor nennt, wie er taktierend dann in texten und Ton sich hilft, ist er seinen Zuhörern am nächsten und am liebsten.


Da war er wieder, der Philosoph, der immer ein bisschen wie aus anderen Sphären zu uns herüber sprach. Der Poet, der unserer lauten Welt stets die leisen Töne entlockte. Der Sänger, der, der nie müde wurde, die Liebe zu besingen. Der Denker, der unbeirrbar hinter die Dinge dachte. Fast drei Stunden musste das Publikum am Sonntagabend auf diesen Moment warten. Zuvor hatte es unter dem Motto "Was ich dir singen wollte" eine atemberaubend schnelle Show erlebt, in der alles vorkam, was Herman van Veen kann. Und noch mehr.

Eine atemberaubend schnelle Show

Er kann eine grandiose Persiflage au die Oper hinlegen und hinreißend verhändelte Koloraturarien falsettieren. Er kann geistreiche Insider-Witze vortragen: "Wie ein Heldentenor Selbstmord macht? Er stürzt sich von seinem Ego mitten in sein IQ!" Er kann wunderbar zarte Geschichten erzählen, wie die vom Buben, der mit seinem Vater im Badehaus Edith Piaf singt. Er kann, obschon er straff auf die sechzig zugeht, noch immer eindrucksvoll mit dem Hintern wackeln. Er kann auf seinen Fingern Panflöte spielen und geigen wie ein Paganini. Er kann ohne Worte alles sagen, wenn er der Tuba in den Trichter guckt, als wollte er nach den Tönen greifen. Kein Zweifel: Herman van Veen ist großartig als Sänger und Tänzer, Dichter und Instrumentalist, Clown und Pantomime.
Klar, die alten Lieder. Jenes vom Mann, der nicht mehr leben wollte. "Ich lieb dich noch", dreisprachig jetzt. Und die neuen: In den Augen meiner Mutter" und "Heimweh nach dem Traurigsein". Auch traf Alfred Jodokus Kwak auf, dem albträumte , Deutschland würde 2006 Fußball-Weltmeister. die neuen Lieder klingen ein wenig wie die alten. Sie sind brillant instrumentiert, hoffnungslos romantisch und melancholisch wie ehedem. Und bessere Partner als den Pianisten Erik van der Wurff, die Gitarristin Edith Leerkers, die Violinistin Jann, die Perkussionnistin Wieke Gracia könnte van Veen sich gar nicht wünschen.
Jedoch ergibt eine reihe von schönen Liedern noch kein abendfüllendes Programm. Und so blieb den hemmungslos begeisterten Fans in der ausverkauften Paderhalle kaum Zeit zu klatschen, denn van Veen scheuchte sie , sich selbst und seine Musiker ernst, geschäftig, ja geschäftstüchtig von Nummer zu Nummer. freilich, das spanische Solo de barfüßigen Gitarristin, die Tabula rasa auf dem Trommeltisch, bis die Splitter flitzen, Dudelsack, Drehleier und Hermans dunkelbraune Geige, die wie ein Stargast im feinen Stuhl auf ihren Einsatz wartete, während die übrigen Musiker auf Quadern hockten - all das machte mächtig was her. Aber ein Buch, aus dem es unaufhörlich stiebte, eine dünne Feuerwehrspritze, aus der kein Wasser, und eine dicke, aus der Glitzerware spritzte: Muss das wirklich sein? zu glatt wirkte die Show, mit der anrührende, schlichte Lieder überreicht wurde den wie ein wertvolles kleines Geschenk mit einer viel zu großen Schleife, zu sehr am vermeintlichen Publikumsgeschmack orientiert, vielleicht. Sie kokettiert mit kurzweiligem Amüsement und schnellen Pointen, und sie mutet hilflos an in ihrer Schrille, ihrer lärmenden Buntheit, die vieles Sanfte, Abwartende der phonstarken Verjuxung preis gibt. mag sein, das Team ist der großen Hallen nicht entwöhnt.

Jenseits der akustischen Schmerzgrenze

Die Tonanlage war es auf keinen Fall. Was da an Dezibel aufgeboten wurde, hätte für ein mittelgroßes Stadion gereicht: Die Geige schnitt in die Ohren, die Perkussion knallte auf die Knochen, und die pralle Stimme Herman van Veens lag schon im Metzzooforte jenseits der akustischen Schmerzschwelle. Dergestalt dürfte des Sängers Wunsch, "die Welt Wachzusingen mit einem Wiegenlied", schwerlich in Erfüllung gehen.

Nun ja: Er tourt mit diesem Programm schon ein ganzes Jahr. The Show must go on.